Am Donnerstagabend konnte, wer wollte, die Beschneidungsdebatte live in einem Hörsaal der Kölner Universität verfolgen. Die Ethikratsmitglieder Wolfram Höfling und Reinhard Merkel gaben sich einen eingebübten Schlagabtausch, das Publikum war so entzweit wie das Podium. Wem gebührt die Deutungshoheit über das Wohl unserer Kinder?
"Ich hatte eine klare Meinung zur Beschneidung. Dass ich meinen Sohn beschneiden lassen würde, war für mich so selbstverständlich wie die aufgehende Sonne. Bis meine Schwester verkündete, ihre Kinder nicht beschneiden zu lassen." Der israelische Mediziner und Publizist Gil Yaron leitet sein Statement mit einer Geschichte ein, die er zu Beginn der Beschneidungsdebatte bereits in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erzählt hatte. Nur dieses Mal hatte seine Geschichte einen Teil 2.
Nach der Ankündigung seiner Schwester und einer erfolglosen Suche nach medizinischen und religiösen Gründen für eine Beschneidung war sich Yaron fortan sicher gewesen, seinen Sohn nicht beschneiden zu lassen. Bis er seine Frau traf. "Ich habe aufgehört, nach dem Nutzen einer Beschneidung zu suchen, und danach gefragt, welchen Schaden ich meinem Sohn damit zufügen würde." Sein Ergebnis: "Passivrauchen ist für Kinder viel schlimmer." Am Ende überwog der Wille, das Kind in Eintracht mit seiner Frau zu erziehen und dazu gehörte eben auch eine Beschneidung.
Neuauflage der Diskussion aus dem Ethikrat
Yaron stand am Donnerstagabend gemeinsam mit dem Kölner Rechtswissenschaftler Wolfram Höfling auf der Seite der Beschneidungsbefürworter. Den Gegenpart bildeten der Hamburger Jurist Reinhard Merkel und der Philosoph Michael Schmidt-Salomon. Zu der Podiumsdiskussion hatte der Rechtstheorie-Lehrstuhl von Dan Wielsch geladen. Merkel und Höfling sind beide im Ethikrat. Ihre Positionen zur Beschneidung tauschten sie am Donnerstagabend nicht zum ersten Mal aus. Der eine wusste, was der andere sagen würde, bevor der auch nur sein Mikrofon aufleuchten ließ.
Anders als Yaron erzählte Merkel keine persönliche Geschichte. Höfling nannte den Vortrag seines Kollegen später ein "bluttriefendes Drama, das über weite Teile Theater war". Der Hamburger Jurist listete in der Tat Schauergeschichten von missglückten Beschneidungen auf. Todesfälle, Amputationen, Beinahe-Unglücke. Gemessen an der Gesamtzahl seien diese Fälle verschwindend gering, aber ignorieren solle man sie trotzdem nicht. "Ein einziger Todesfall beim Piercing eines Kleinkindes – der Gesetzgeber würde das sofort verbieten!"
Höfling: "Eltern-Kind-Beziehung als solche geschützt"
Merkel und sein aus dem Publikum agierender Kollege Rolf Dietrich Herzberg – dessen ehemaliger Mitarbeiter Holm Putzke die Debatte um die Beschneidung mit angestoßen hat – formulieren immer wieder Vergleichsbeispiele: die Ohrfeige des streng katholischen Vaters, der seinen Sohn beim Masturbieren erwischt, die Rutenschläge oder das tätowierte Kreuz auf den Rücken kleiner Kinder als Aufnahmeritus in eine (fiktive) Religionsgemeinschaft. Wo soll die Grenze sein? Was ist noch selbstverständlich strafbar, was nicht? Höfling hält solche Beispiele für absurd, Stoff für ein Seminar, für eine konstruktive gesellschaftliche Diskussion untauglich.
Für Schmidt-Salomon hat das Kölner Urteil nur eine Selbstverständlichkeit betont, in Höflings Augen ist es völlig missraten. Es verkenne bereits, dass es nicht um eine Abwägung zwischen der körperlichen Unversehrtheit des Kindes und der Religionsfreiheit der Eltern gehe, sondern allein um die Reichweite das Erziehungsrechts.
Außerdem hätten die Richter verkannt, dass die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern als solche abwehrrechtlich geschützt sei. Nicht der Gesetzgeber habe zu entscheiden, welches Risiko noch erlaubt sei, sondern die Eltern.
Merkel: "Ich hätte mir einen mutigeren Gesetzgeber gewünscht"
Die Frage, ob ein Beschneidungsgesetz – wie es der Bundestag wohl am 12. Dezember verabschieden wird – wirklich notwendig ist, ob unsere Demokratie auf das Urteil reagieren müsse, verneint Höfling; wenngleich das Gesetz wohl Rechtssicherheit schaffe. Schmidt-Salomon und Merkel halten den Alternativentwurf, den Abgeordnete der Opposition in den Bundestag eingebracht hatten, für vorzugswürdig.
Wobei Merkel eine Regelung im Strafrecht wohl lieber gewesen wäre. Ein Absatz drei in § 223 Strafgesetzbuch (StGB), der die vorherigen Absätze für eine Beschneidung bei Juden und Muslimen für unanwendbar erkläre. "Ich hätte mir einen mutigeren Gesetzgeber gewünscht. Der Regierungsentwurf ist nicht ehrlich." Das eigentliche Motiv des Gesetzgebers sei ein religiöses, Hintergrund die deutsche Geschichte. "Aber der Gesetzgeber fürchte sich davor, religiöses Sonderrecht zu schaffen, und gibt daher die Motive für eine Beschneidung frei."
"Warum hat Gott uns eigentlich nicht beschnitten?"
So weit auseinander lagen die Diskutanten am Ende aber wohl gar nicht. Zwar mochte nicht jeder Merkels Prognose teilen, in 50 Jahren werde die Beschneidung überall verboten sein. Dass eine Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften gegenüber staatlichen Sanktionen zu bevorzugen sei, darauf konnte man sich einigen.
Wenngleich Merkel nachschob, für eine Körperverletzung sei aber am Ende aber eben doch der Staat zuständig. Yaron plädierte dagegen für die notwendige Toleranz.
Am Ende blieb eine Frage aus dem Publikum unbeantwortet: "Warum hat Gott uns eigentlich nicht beschnitten und uns diese Debatte damit erspart?"
Claudia Kornmeier, Ethikratsmitglieder diskutieren über Beschneidung: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7735 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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