Die Sperrstunde für Kneipen wird bisher von den Gerichten unterschiedlich beurteilt. Während in NRW eine mögliche Verlangsamung des Infektionsgeschehens das Verbot rechtfertigt, reicht das den Richtern in Osnabrück nicht aus.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat die Sperrstunden für Gaststätten und Bars in Risikogebieten in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Die Regel der Landesregierung in der seit dem 17. Oktober gültigen Corona-Schutzverordnung sei rechtmäßig, wie das OVG am Montag mitteilte. Das Verbot des Alkoholverkaufs zwischen 23.00 und 6.00 Uhr diene dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Sperrstunden leisteten einen Beitrag zur Kontaktreduzierung, heißt es in der Begründung des OVG. Der Beschluss ist nicht anfechtbar (Beschl. v. 26.10.20, Az. 13 B 1581/20.NE).
Nach Ansicht des 13. Senats droht die Weiterverbreitung des Coronavirus wegen fehlender Nachverfolgungsmöglichkeiten außer Kontrolle zu geraten. Das gegenwärtige Infektionsgeschehen sei durch ein rapides Ansteigen der Infektionszahlen gekennzeichnet. Die von den Antragstellern angegriffenen Verbote seien geeignet, dieses zu verlangsamen, heißt es in einer Mitteilung des OVG. Durch die Sperrstunden würden Begegnungen von wechselnden Gästegruppen auch nach 23.00 Uhr auf dem Weg von und zu den Gaststätten verhindert. Das Alkoholverbot diene dazu, eine weitere Ausbreitung durch die enthemmende Wirkung von Alkohol zu verhindern. Außerdem würden die bestehenden Hygiene- und Infektionsschutzstandards nichts daran ändern, dass ohne die Sperrstunde eine Vielzahl von Menschen in schlecht gelüfteten Räumen aufeinandertreffen.
Die Sperrstunden greifen nach Ansicht der obersten Verwaltungsrichter zwar erheblich in die Berufsfreiheit der Gastronomen ein. Die verschärften Regeln seien aber auch im Interesse der Kläger, damit die Betriebe zumindest in der Zeit von 6.00 bis 23.00 Uhr geöffnet bleiben könnten.
Die Entscheidung fiel in einem Normenkontroll-Eilverfahren von 19 Antragstellern, die in Bonn, Köln und im Rhein-Sieg-Kreis Gaststätten betreiben. Weitere Klagen von weiteren Gastronomen aus Bochum, Duisburg, Essen, Dortmund, Hemer (Märkischer Kreis) und Düsseldorf sind am OVG anhängig. Ein Verfahren wird vom Branchenverband Dehoga unterstützt. Mit der Beantwortung der Rechtsfrage zur Corona-Schutzverordnung durch das OVG sind die weiteren Verfahren nicht automatisch erledigt. Die Antragsteller müssten ihre Eilverfahren zurückziehen.
"Maßnahmen müssen auf Fakten basieren"
Der Hotel- und Gaststättenverband NRW zeigte sich in einer Stellungnahme enttäuscht von der Entscheidung des OVG. "Für uns ist und bleibt die Einführung einer Sperrstunde unverhältnismäßig. Die vage Aussicht, dass sich das Infektionsgeschehen dadurch verbessern könnte, reicht uns weiterhin nicht aus. Maßnahmen müssen auf Fakten basieren", sagte Bernd Niemeier, Präsident des NRW-Verbandes.
Niemeier verweist auf Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI), nach dem die Hauptursache für das gestiegene Infektionsgeschehen im privaten Bereich liege. Demnach ließen sich nur 1,6 Prozent der Infektionen dem Gastgewerbe zuordnen. "Solange die Zahlen so klar sind, aber sich die Politik nicht traut, den privaten Bereich stärker zu reglementieren, dürfen weitere Beeinträchtigungen nicht über uns abgeladen werden", sagt der Dehoga-Präsident.
Osnabrück: Infektionsgeschehen auf private Feiern zurückzuführen
Anders als das OVG NRW sieht es das Verwaltungsgericht (VG) Osnabrück. Es hat einen Eilantrag eines Osnabrücker Gaststättenbetreibers gegen die in der niedersächsischen Corona-Verordnung geregelte Sperrstunde stattgegeben (Beschl. v. 26.10.20, Az. 3 B 76/20). Der Kläger darf nach der Entscheidung vom Montag seine Gaststätte deshalb vorläufig auch in der Zeit von 23.00 bis 6.00 Uhr öffnen, wie das Gericht am Montag mitteilte. Für andere Gastwirte gelte dies nicht, da es sich nicht um eine Entscheidung in einem vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) zu führenden Normenkontrollverfahren handele.
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die Kammer aus, die Sperrzeitregelung sei nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die als Generalklausel ausgestaltete und herangezogene Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG gelte nach ihrem Wortlaut nur für "notwendige Schutzmaßnahmen" und nehme daher Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Misst man die Sperrstundenregelung daran, dann fehle die Erforderlichkeit. Insbesondere nach den von der Kammer ausgewerteten Daten des Robert-Koch-Instituts habe sich bislang nicht abgezeichnet, dass es in Gastronomiebetrieben mit entsprechendem Hygienekonzept zu einem nennenswerten Anstieg der Infektionszahlen gekommen sei, hieß es. Vielmehr komme dem Infektionsumfeld "Speisestätten" nur eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu Fallhäufungen im Zusammenhang mit größeren (privaten) Feiern zu.
Bereits am Freitag hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück die Sperrstunden-Anordnung der Stadt gekippt, weil sie nach Ansicht der Richter unverhältnismäßig ist. Die Beschlüsse von Freitag und Montag sind noch nicht rechtskräftig. Gegen die Sperrstunden-Verordnung des Landes liegen dem OVG in Lüneburg drei Eilanträge vor.
In Berlin wurde die dortige Sperrstunde bereits vom VG vorerst suspendiert.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
Sperrstunden in der Gastronomie: . In: Legal Tribune Online, 27.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43223 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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