Es war ganz zu Anfang des europäischen Pandemiegeschehens, als sich in Ischgl immer mehr Leute mit dem Coronavirus ansteckten. Nun befand das OLG Wien, dass der Staat nicht richtig reagiert hat – und daher haften könnte.
Das Oberlandesgericht (OLG) Wien macht im sogenannten Ischgl-Verfahren zahlreichen Klägerinnen und Klägern neue Hoffnung, womöglich doch noch Schadensersatz vom Staat Österreich zu bekommen. Das Gericht hat den Fall zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurückverwiewsen.
Den Ischgl-Verfahren liegt in schwerer Vorwurf zugrunde. Danach sollen sich Tausende im März 2020 in Österreichs Skiorten, insbesondere in Ischgl, mit dem Coronavirus infiziert haben – und zwar deshalb, weil Österreich als Staat nicht richtig gehandelt habe. Bereits kurz nach Bekanntwerden der Ereignisse hatte der österreichische Verbraucherschutzverein (VSV) die Möglichkeit zur Registrierung für eine Sammelklage geschaffen. Er wollte sowohl auf strafrechtlicher als auch zivilrechtlicher Ebene wegen des Geschehens tätig werden.
Die strafrechtlichen Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft dann zwar aufgenommen, später aber wieder eingestellt. Dafür wurden auf zivilrechtlicher Ebene im Herbst 2020 erste Musterklagen auf Schadensersatz eingereicht, ein Jahr später begannen die Verhandlungen vor dem Landesgericht in Zivilrechtssachen Wien.
Einer der Kläger war ein Deutscher, der am 7. März 2020 nach Ischgl reiste. Er steckte sich mit dem Coronavirus an und noch heute ist der Handwerker aufgrund seines Krankheitsverlaufs mit Long Covid so eingeschränkt, dass er unter anderem seinen Beruf nicht mehr ausführen kann. Er verlangt daher 100.000 Euro von der Republik Österreich: Schmerzensgeld, Heilungs- und Pflegekosten sowie entgangenen Verdienst.
Staatshaftung für falsche Pressemitteilungen?
Vor dem Landesgericht blieben der deutsche Skifahrer und die übrigen Klagenden allerdings erfolglos. Der Staat hafte zwar grundsätzlich für Schäden, die Organe des Staates "in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben", erklärte das Gericht in einem der Ischgl-Urteile. Schutzzweck des Epidemiegesetzes sei aber der Schutz der Allgemeinheit und nicht der Schutz des Einzelnen. Es seien keine Amtspflichten gegenüber dem Einzelnen normiert, sodass der Einzelne auch keinen Anspruch auf Schadensersatz habe.
Das OLG Wien bestätigte diese Ausführungen des Landesgerichts zwar nun, stellte darüber hinaus aber auf eine andere Pflicht des Staates ab, die nun möglicherweise doch Schadensersatzansprüche begründet. Danach folge aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Anspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat, dass staatliche Informationen über drohende Gefahren vollständig und richtig sein müssten.
Genau das habe das Land Tirol am 5. März 2020 jedoch nicht getan. Es teilte mit, dass zwei isländische Skigäste sich erst auf dem Flug und nicht bereits in Ischgl angesteckt hätten – was allerdings nicht zugetroffen habe und laut OLG spätestens am 6. März 2020 bekannt gewesen sei. Das Land hätte spätestens dann die Presseinformation korrigieren müssen, was jedoch nicht erfolgt ist. Dann wäre eben unter anderem der deutsche Skifahrer am 7. März 2020 nicht mehr nach Ischgl gereist. Das OLG hat den Fall daher zur Neubewertung an das Landesgericht zurückverwiesen.
Hoffnung auf Haftungsansprüche
Der österreichische Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Peter Bußjäger sieht einen Haftungsanspruch begründet: Es sei höchstrichterlich anerkannt, dass Pressemitteilungen eines Staatsorgans als hoheitliches Handeln einzuordnen seien. "Eine Warnung der Finanzmarktaufsicht vor einem Produkt löst auch einen Haftungsanspruch aus", erklärt Bußjäger in der Wiener Zeitung.
Die Verbraucherschützer vom VSV zeigen sich erfreut. "Das Erstgericht muss die Amtshaftungsklagen nun fundiert prüfen. Wir vertrauen daher darauf, dass die Republik Österreich den Geschädigten von Ischgl letztlich Schadenersatz leisten wird", sagte Peter Kolba vom VSV gegenüber der dpa.
Mit Materialien der dpa
Wende im Ischgl-Verfahren in Wien: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49150 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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