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18857

OLG München zu BILD-Aktion gegen Hasskommentare: "Pranger der Schande" doch rechts­widrig

von Constantin Baron van Lijnden

21.03.2016

Pranger der Schande

Foto: Bild / Skalierung & Zuschnitt: LTO

Im Oktober 2015 stellten Bild und Bild online die Verfasser flüchtlingsfeindlicher Facebook-Kommentare an den "Pranger der Schande". Das LG München I hielt das für zulässig, das OLG München widerspricht nun.

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Mit dem "Pranger der Schande" lieferte die BILD-Zeitung vergangenen Herbst einen gewohnt polternden Beitrag zur Debatte um Hasskommentare auf Facebook. An den "Pranger", bestehend aus einer Doppelseite in der Zeitung sowie einem Beitrag auf Bild Online, stellte sie rund zwei Dutzend Facebook-Kommentare, die in mindestens polemischem, meist offen fremdenfeindlichem Ton zur Flüchtlingskrise Stellung nahmen. Ebenfalls abgedruckt waren Namen und Profilbilder der Kommentatoren sowie die Aufforderung "Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!"

Diverse Medienrechtler bewerteten die Berichterstattung damals als zulässig (1, 2) – auch auf der LTO. Da die Beiträge allem Anschein nach in einer für jeden Facebook-Nutzer einsehbaren Form abgegeben worden waren, seien die Kommentatoren durch ihren Abdruck auch nicht in ihrer Privat- oder gar Intimsphäre berührt. Auch der Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Debatte streite im Rahmen der Abwägung nach § 23 Kunsturhebergesetz (KUG) für ein Veröffentlichungsrecht der Medien.

Eine der angeprangerten Kommentatorinnen beantragte gleichwohl den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Abbildung ihres Profilfotos (nicht: ihres Namens oder Kommentars), unterlag jedoch vor dem Landgericht (LG) München I. Sie hatte 2015 auf Facebook geschrieben: "Wie die Tiere und noch schlimmer, alles rennt zum gutgefüllten Futternapf, mal sehen wo Sie hin rennen, wenn unser Napf leer gefressen ist ???"

Die Veröffentlichung ihres Profilfotos neben dem Kommentar verletze die Frau weder in ihrem Persönlichkeitsrecht noch – als Fotografin des Profilbildes – in ihrem Urheberrecht, so das LG. Da die Nutzerin ihr Profilbild ohne Einschränkungen bei Facebook eingestellt habe, sei die weitere Verbreitung durch andere Medien im Internet nach der Rechtsprechung des EuGH schon keine weitere öffentliche Wiedergabe. Zudem sei die Schranke des § 48 Urheberrechtsgesetz (UrhG) für die Wiedergabe öffentlicher Reden durch Medien auf die Verbreitung von Facebook-Posts samt Profilbild analog anzuwenden. Ferner sei die Veröffentlichung des Screenshots sowohl vom Zitatrecht nach § 51 UrhG als auch von der Schranke für Tagesereignisse nach § 50 UrhG gedeckt.

OLG München: Foto schafft für Leser keinen Mehrwert

Das Oberlandesgericht (OLG) München ist am vergangenen Donnerstag allerdings zu einer anderen Auffassung gelangt (Urt. v. 17.03.2016, Az. 29 U 368/16). "Das OLG München ersparte sich (bzw. dem Landgericht) in der mündlichen Verhandlung eine Auseinandersetzung mit deren urheberrechtlichen Begründungen", schreibt dazu der siegreiche Anwalt der Antragstellerin, Matthias Hechler.

Das Gericht habe sich vielmehr allein auf das Persönlichkeitsrecht der Frau gestützt. Dieses sieht es als verletzt an: Zwar sei ein klarer zeitgeschichtlicher Bezug der Berichterstattung gegeben – allerdings hätte die Zeitung das Foto der Frau ebenso gut weglassen bzw. in verpixelter Form zeigen können. Die unverpixelte Darstellung schaffe keinerlei Mehrwert für die Leser, stelle aber einen intensiveren Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar.

Darin liegt für Ulrich Amelung von Raue LLP, die Bild in dem Verfahren vertreten, zugleich der Schwachpunkt der Entscheidung: "Es ist ein eherner Grundsatz des Presserechts, dass die Entscheidung darüber, welchen Mehrwert ein Bild liefert, allein dem Medium überlassen bleibt." Die Frage danach, ob der Artikel ohne das Foto genauso aussagekräftig gewesen wäre wie mit, hätte das Gericht also gerade nicht in die Abwägung nach § 23 KUG einfließen lassen dürfen. "Irritierenderweise hat hier ausgerechnet der für Urheberrecht zuständige Senat des OLG entschieden, aber das mit einer rein presserechtlichen Begründung, die so nicht haltbar ist." Da Rechtsmittel gegen die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht statthaft sind, werde man nun das Hauptsacheverfahren anstreben.

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Constantin Baron van Lijnden, OLG München zu BILD-Aktion gegen Hasskommentare: . In: Legal Tribune Online, 21.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18857 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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