Den Nebenklägern im Mordfall Lübcke geht es nicht nur um die Schuld des Hauptangeklagten Stephan Ernst. Eine große Rolle spielt für sie auch Markus H.: Die Lübcke-Familie hat Zweifel an der These vom Einzeltäter.
Im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Nebenklage am Dienstag eine Verurteilung beider Angeklagter wegen gemeinschaftlichen Mordes verlangt. Dafür wäre allerdings zuvor ein rechtlicher Hinweis des Gerichts an den wegen Beihilfe angeklagten Markus H. notwendig. Sollte es dazu nicht kommen, halte er den Strafantrag der Bundesanwaltschaft für angemessen, sagte Holger Matt, der Anwalt der als Nebenkläger auftretenden Witwe und Söhne Lübckes in seinem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt.
Hauptangeklagter in dem Verfahren ist der 47 Jahre alte Stephan Ernst. Im Schlussvortrag der Nebenklage spielte allerdings der wegen Beihilfe angeklagte H. die tragende Rolle. Die Nebenklage gehe von seiner Mittäterschaft aus, sagte Matt. "Ohne den Angeklagten H. hätte es den Mord an Walter Lübcke nicht gegeben." Die Nebenkläger hielten Äußerungen von Ernst für glaubhaft - auch, was die Rolle von H. angehe.
Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer im Dezember lebenslange Haft und Sicherheitsverwahrung für Ernst gefordert. Für Markus H., der in dem Verfahren wegen Beihilfe angeklagt ist, forderten die Bundesanwälte eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten. H. soll Ernst politisch beeinflusst haben. Die Anklage geht von einem rechtsextremistischen Tatmotiv aus.
Die Anklage wirft Ernst vor, den CDU-Politiker Lübcke im Juni 2019 auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen zu haben. Für die Familie habe von Anfang an auch eine ganz persönliche Aufklärung im Vordergrund gestanden, so Matt: "Wie waren die letzten Sekunden im Leben von Walter Lübcke?" An mehr als 40 Verhandlungstagen der Konfrontation mit dem mutmaßlichen Täter ausgesetzt zu sein, habe die Familie Kraft gekostet.
Matt: "DNA-Spur nur erklärbar mit zwei Tätern"
Ehe Matt auf die Beweise und Indizien der Hauptverhandlung einging, sprach er mit Blick auf die beiden Angeklagten von einem Versagen des Verfassungsschutzes. Der Staat dürfe "nie wieder auf dem rechten Auge blind oder naiv reagieren". Nach den NSU-Morden habe man gedacht, der Staat sei aufgewacht. Doch Lübcke habe nach seinem Eintreten für den Bau einer Flüchtlingsunterkunft unzählige Hassbotschaften bekommen – "keiner hat es gemerkt." Die beiden Angeklagten sollen beim Besuch einer Bürgerversammlung 2015 auf Lübcke aufmerksam geworden sein.
Anders als die Bundesanwaltschaft stützte sich Matt nicht hauptsächlich auf das Geständnis von Ernst in seiner polizeilichen Vernehmung im Juni 2019, in dem er sich als Einzeltäter bezeichnet hatte. Zwar sei die spätere Tatversion, in der er Anfang 2020 von einem Unfall gesprochen hatte, unglaubwürdig. Danach soll der Schuss versehentlich gefallen sein, als H. die Waffe in der Hand hielt. Mit den Angaben von Ernst während des Prozesses sei jedoch das "Kerngeschehen" sichtbar geworden.
Gericht und Bundesanwaltschaft hatten während des Prozesses ein "situativ angepasstes Aussageverhalten" mit zahlreichen Widersprüchen kritisiert. "Widersprüche sind normal", meinte dagegen Matt zu den Angaben von Ernst. "Wir glauben dem Angeklagten, dass er die Wahrheit gesagt hat." Die DNA-Spur von Ernst auf Lübckes Hemd sei "nur erklärbar mit zwei Tätern", betonte Matt. Es wäre "völlig unerklärlich", wenn der mutmaßliche Täter nach dem tödlichen Schuss nicht sofort geflohen sei, sondern das Opfer noch berührt hätte.
Urteil für Ende Januar erwartet
Nach Schilderung von Ernst im Prozess hatte er Lübcke in den Stuhl zurückgedrückt, als der sich kurz vor dem Schuss erheben wollte. Dabei habe er ihn gemeinsam mit H. konfrontiert.
Der Anwalt eines irakischen Flüchtlings, der bei einem ebenfalls dem Hauptangeklagten Ernst vorgeworfenen Messerangriff schwer verletzt wurde, forderte eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. Zudem kritisierte er institutionellen Rassismus, dem sein Mandant Ahmed I. bei den Ermittlungen begegnet sei. Statt mit Empathie sei er mit Misstrauen behandelt worden.
Im zweiten Nebenklage-Plädoyer bezeichnete der Anwalt von Ahmed I. Ernst als "Rassisten und überzeugten Neonazi". Vorangegangene Straftaten seien "wie eine Blaupause" für den Angriff auf seinen Mandanten gewesen. Ernst hatte in seiner Einlassung vor Gericht den Vorwurf des Messerangriffs zurückgewiesen. Der junge Iraker, der wenige Monate nach seiner Ankunft in Deutschland im Januar 2016 von hinten angegriffen worden war, konnte nur vage Angaben zum Täter machen. Ahmed I. bedankte sich zum Abschluss des Prozesstages bei Bundesanwaltschaft und Gericht. "Ich hoffe, dass die Gerechtigkeit siegt und die Verbrechen bestraft werden", sagte er.
Das Urteil wird für Ende Januar erwartet.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Lübcke-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43965 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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