Der 3. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat am Mittwoch entschieden, dass die rückwirkende Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzkosten nicht vorläufig ausgesetzt wird. Allerdings äußerten die Richter Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Befreiung insgesamt. Hierum wird es in der Hauptsache gehen, die erst im März 2013 verhandelt wird.
Die Energiewende verteuert den Strom. Damit das am Ende nicht auf Kosten von Arbeitsplätzen geschieht, können stromintensive Unternehmen seit August 2011 von der Zahlung der Netzentgelte befreit werden, wenn sie mehr als 7.000 Arbeitsstunden und zehn Gigawatt Strom pro Jahr verbrauchen.
Zum Ausgleich werden die übrigen Verbraucher seit 2012 per Sonderumlage zusätzlich belastet. Die mit den Netzentgelten weitergegebenen Netzkosten machen für Privathaushalte etwa ein Fünftel des Strompreises aus.
Anders als ab dem Jahr 2012 werden für das Jahr 2011 die Netzkosten aber nicht bundesweit umgelegt. Vielmehr werden die Einnahmeausfälle von den Endverbrauchern desjenigen Netzbetreibers getragen, über den das jeweilige stromintensive Unternehmen seinen "netzkostenfreien" Strom bezogen hat. Da für das Jahr 2011 bei einer rückwirkenden Umwälzung Abrechnungsschwierigkeiten entstünden, werden die im Jahr 2011 entstandenen Einnahmeausfälle in den Jahren 2013 und später verrechnet.
Befreiung "europarechtlich schwer begründbar"
Diese Befreiung, die nach Auffassung der Bundesnetzagentur auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2011 beantragt werden kann, droht nun vor Gericht durchzufallen. Zwar ließ das Düsseldorfer Oberlandesgericht die rückwirkende Befreiung am Mittwoch im Eilverfahren trotz massiver Bedenken passieren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.11.2012, Az. VI - 3 Kart 65/12; VI - 3 Kart 14/12). Mit Blick auf das Hauptverfahren sagte der Vorsitzende Richter Wiegand Laubenstein aber, dass das Gericht "erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Befreiung" habe. Es fehle an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Sie sei zudem europarechtlich fragwürdig.
Die Befreiung hätte aus Sicht des Gerichts in einem Gesetz und nicht per Verordnung geregelt werden müssen. Die Kostenbefreiung sei eine Härtefallregelung, um die Wettbewerbsfähigkeit etwa der Papier-, Zement- und der chemischen Industrie angesichts steigender Energiekosten durch den Atomausstieg zu sichern. Das Gericht sei sich im Klaren, dass es um viele Arbeitsplätze gehe: "Das sehen wir."
Eine vollständige Befreiung einer bestimmten Gruppe Stromverbraucher von den Netzkosten sei aber auch per Gesetz europarechtlich "schlecht darstellbar und begründbar", weil eine solche Regelung diskriminierungsfrei und kostenbezogen sein müsse. Daher wäre eine Minderung der Netzkosten für Großverbraucher eher denkbar als eine vollständige Befreiung. "Das sind natürlich auch alles Hinweise an den Gesetzgeber", sagte Laubenstein. Im Hauptverfahren sind mehr als 160 Klagen von Netzbetreibern gegen die Kostenbefreiung anhängig.
Das Gericht ließ erkennen, dass es die Befreiung aus rein pragmatischen Gründen nicht vorläufig gestoppt hat: Eine Rückabwicklung der rückwirkenden Befreiung hätte weitere erhebliche Verwerfungen verursacht und die Lasten lediglich auf die überregionalen Netzbetreiber verschoben. Allein für das Jahr 2012 gehe es um ein Volumen von gut einer Milliarde Euro, von dem die großen Stromverbraucher befreit werden sollen und das auf die kleinen umgelegt werden soll.
Außerdem könnten nicht Einzelfragen, hier die Prüfung der Befreiungsregelung für das Jahr 2011, isoliert im Eilverfahren herausgegriffen werden, so der 3. Kartellsenat. Eine Aussetzung der Abrechnungsmethode für das Jahr 2011 würde im Ergebnis dazu führen, dass dann nach dem ab 2012 geltenden Modus abzurechnen sei. Hinsichtlich dieserr ab 2012 geltenden Regelung hat der Senat aber erhebliche Bedenken, ob das Energiewirtschaftsgesetz überhaupt eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Befreiung von den Netzentgelten bietet. Es sei nicht sachgerecht, den überregionalen Netzbetreibern Belastungen aufgrund einer nach vorläufiger Würdigung rechtswidrigen Norm aufzuerlegen.
Kleinere Netzbetreiber beklagen Wettbewerbsverfälschung
Gewehrt hatten sich die Netzbetreiber NRM Netzdienste Rhein-Main GmbH und die Stadtwerke Ilmenau GmbH gegen den Abrechnungsmodus für die rückwirkende Befreiung der Großkunden für das Jahr 2011. Die Befreiung verfälsche den Wettbewerb und reize dazu an, mehr Strom zu verbrauchen, nur um die Befreiungsschwelle von zehn Gigawatt im Jahr zu erreichen. Außerdem sei die Befreiung eine unionsrechtlich unzulässige Beihilfe.
Die energieintensive Wirtschaft pocht weiter auf Erleichterungen beim Strompreis. "Deutschland hat weltweit fast die höchsten Strompreise", hatte der Verband der Industriellen Energie-und Kraftwirtschaft betont. Eine Strompreissteigerung seit 2000 um etwa 126 Prozent habe die deutsche energieintensive Industrie an den Rand der Belastbarkeit gebracht.
Dabei genießen die stromintensiven Unternehmen noch eine weitere Erleichterung: Auch die Öko- oder EEG-Umlage, gegen die derzeit Unternehmen aus der Textilbranche vor verschiedenen Landgerichten kämpfen, zahlt die energieintensive Wirtschaft nicht. Erst kürzlich hatte das LG Bochum der Argumentation der Textilbranche, die Umlage sei verfassungswidrig, eine Absage erteilt (Urt. v. 06.11.2012, Az. 12 O 138/12).
Die Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz sind rechtskräftig. Im Hauptverfahren wird das OLG am 6. März 2013 verhandeln.
dpa/cko/LTO-Redaktion
OLG Düsseldorf zu Netzkosten: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7548 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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