EuGH und BGH haben kürzlich wegweisende Urteile für Diesel-Fälle gefällt. Nun verhandelte mit dem OLG Stuttgart erstmals ein Instanzgericht unter den neuen Regeln. Christian Rath war dabei und hat eher schlechte Nachrichten für Dieselkunden.
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gab den Käufern von Diesel-PKW an diesem Donnerstag eine differenzierte Botschaft. Für so genannte Thermofenster müssen die Hersteller wohl nicht haften. Dagegen rückten die Stuttgarter Richter eine andere Manipulations-Software in den Mittelpunkt: die bisher kaum bekannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Auch eine Abschalteinrichtung für den SCR-Katalysator ist im Auge zu behalten.
Bisher handelt es sich nur um die vorläufige Einschätzung des 24. Zivilsenats am OLG Stuttgart (Az. 24 U 1796/22 u.a.). Deutlich wurde aber, dass die Anrechnung von Nutzungen in sehr vielen Fällen die klagenden Diesel-Käufer mit leeren Händen zurücklässt.
Was bisher geschah
Zunächst bekamen Dieselkäufer nur Schadensersatz, wenn in ihrem Fahrzeug die so genannte "Umschaltlogik" verbaut war. Diese VW-Software erkannte, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befand. Nur dort funktionierte die Abgasreinigung richtig. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah darin 2020 eine sittenwidrige Schädigung der Kunden und gewährte Schadensersatz gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Für sogenannte Thermofenster billigte der BGH zunächst keinen Schadensersatz zu, auch weil die Software dem Kraftfahrtbundesamt bekannt war und das Amt keine Einwände erhob. Thermofenster führen dazu, dass die Abgasreinigung bei in Deutschland völlig üblichen Temperaturen von zum Beispiel unter 15 Grad nicht mehr richtig funktioniert.
Dann aber schaffte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit zwei Urteilen eine ganz neue Lage. Im Juli 2022 entschied der EuGH, dass Thermofenster illegal sind, wenn sie dazu führen, dass die Abgasreinigung mehr als die Hälfte des Jahres nicht richtig funktioniert. Und im März 2023 urteilte der EuGH, dass die Käufer von Fahrzeugen mit illegaler Abschalteinrichtung im Prinzip auch dann Schadensersatz bekommen können, wenn die Hersteller zwar nicht sittenwidrig handelten, aber gegen die EU-Fahrzeug-Zulassungs-Verordnung verstießen. Denn diese sei drittschützend.
Diese EuGH-Vorgabe setzte der BGH im Juni 2023 um und korrigierte seine Rechtsprechung. Grundsätzlich billigte der BGH Diesel-Käufern, die von einem Thermofenstern betroffen sind, Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB in Höhe von fünf bis fünfzehn Prozent des Kaufpreises zu. Voraussetzung ist allerdings, dass der konkrete Thermofenster-Typ vom Gericht als illegal eingestuft wird und die PKW-Hersteller zumindest fahrlässig gehandelt haben. Vollständige Rechtssicherheit schaffte das Urteil daher nicht.
Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Thermofenstern
An diesem Donnerstag verhandelte nun der 24. Zivilsenat des OLG Stuttgart über vier Mercedes-PKW mit den Motoren OM 607 und OM 651, verbaut etwa in einigen Mercedes-Modellen vom Typ CLA und GLA, sowie der A- und B-Klasse. Dabei ging es um drei verschiedene Abschalteinrichtungen. Das Gericht äußerte jeweils eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage.
Schnell zeigte sich, dass sich viele Dieselkäufer und Anwaltskanzleien wohl zu früh gefreut haben. Ob die konkreten Thermofenster der Daimler-PKW illegal waren, ließen die Richter offen. Denn die Diesel-Hersteller hätten sich beim Einbau der Thermofenster wohl in einem "unvermeidbaren Verbotsirrtum" befunden, sagte Thilo Rebmann, der Vorsitzende OLG-Richter. Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg habe bis 2022 "jedes Thermofenster durchgewunken." Auch soweit keine tatsächliche Genehmigung vorlag, könne von einer "hypothetischen Genehmigung" zum Kaufzeitpunkt ausgegangen werden. Die Hersteller handelten also wohl nicht fahrlässig und müssen daher auch nicht haften. Der BGH hatte in seinem Urteil aus dem Juni ausdrücklich auf die Möglichkeit der Bejahung eines Verbotsirrtums hingewiesen, ohne die Freigabepraxis des Kraftfahrtbundesamtes in Frage zu stellen.
Hoffnung bei der KSR-"Lösung"
Hoffnung für Dieselkunden besteht bei einer weiteren Abschalteinrichtung, die es nur in Mercedes-PKW gibt – und zwar die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Sie sorgt dafür, dass das Kühlmittel nach langem Stillstand langsamer erhitzt wird und so weniger Schadstoffe erzeugt. Hier sahen die Richter starke Indizien, dass eine illegale Abschalteinrichtung vorliegt und dass Mercedes sich nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann.
Richter Rebmann nannte hierfür drei Punkte. Zum einen funktionierte die KSR-Lösung – wie die ursprüngliche Umschaltlogik – fast nur auf dem Prüfstand. Anders als die Thermofenster wurde die KSR-Lösung auch gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt verheimlicht. Außerdem stelle die KSR-Lösung keinen Industriestandard dar.
Laut der Bremer Anwältin Ute Irmer (von Hahn Rechtsanwälte) sind rund drei Millionen Mercedes-Fahrzeuge mit der KSR-Software ausgestattet. Bei etwa 700.000 bis 800.000 Fällen könnte es allerdings Probleme mit der Verjährung geben (wenn noch nicht geklagt wurde), weil das Kraftfahrtbundesamt ab 2018 Rückrufe angeordnet hatte.
Die Mercedes-Anwälte der Kanzlei Ebner Stolz verwiesen zwar darauf, dass die KSR-Lösung "nicht grenzwertrelevant" gewesen sei. Es habe sich eher um eine Zuschalt-Einrichtung als um eine Abschalt-Einrichtung gehandelt. Die Grenzwerte seien immer eingehalten worden. Doch Kläger-Anwältin Irmer wollte das nicht gelten lassen. Die Einhaltung der Grenzwerte seine keine Rechtfertigung für die teilweise Abschaltung der Abgasreinigung. "Oft kommen mehrere Abschalteinrichtungen zusammen", argumentierte sie, "von denen vielleicht eine allein für die Unterschreitung der Grenzwerte verantwortlich ist, aber alle zusammen eben doch."
Abschalten zur Einsparung von AdBlue-Harnstoff
Eher am Rande kam noch eine dritte Abschalteinrichtung zur Sprache. Denn auch für SCR-Katalysatoren, die bei der Euro 6-Norm eine zentrale Rolle spielen, gibt es Tricks, wie AdBlue-Harnstoff gespart werden kann.
Dabei stellte Richter Rebmann klar, dass das OLG kein Problem damit hat, wenn es zwei Modi gibt, bei denen unterschiedlich viel Harnstoff in den Katalysator eingespritzt wird. Dafür scheine es technische Notwendigkeiten zu geben. Unzulässig werde eine solche Abschaltvorrichtung aber, wenn die Abschaltung ohne Rücksicht auf die Parameter solange bestehen bleibt, bis der Motor das nächste Mal gestartet wird.
Ob es hier ein Verschulden der Hersteller gab, wurde jedoch mangels geeigneter Fälle nicht vertieft.
Am Ende gehen wohl die meisten Dieselkunden völlig leer aus
Eine große Rolle spielte dagegen die Höhe des Schadensersatzes. Das OLG wählte in der vom BGH genannten Spanne von fünf bis fünfzehn Prozent des Kaufpreises den Mittelweg und sprach von zehn Prozent im Falle der KSR-Abschalteinrichtung. Bei einem Anschaffungswert des Wagens in Höhe von 40.000 Euro ergäbe sich also ein Ersatzanspruch von 4.000 Euro.
Wie vom BGH gefordert, will das OLG dabei aber auch die Vorteile der Käufer berücksichtigen. Wenn also die Summe des Werts der Nutzungen (also der bisher gefahrenen Kilometer) und des Restwerts des Fahrzeugs höher ist als die Anschaffungskosten, dann muss dies mit dem Schadensersatz verrechnet werden.
In allen vier Fällen ergab sich dann, dass der Schadensatzanspruch am Ende bei Null liegt, die Kläger also vermutlich leer ausgehen werden. Anwältin Irmer schätzt, dass dies bei der vom BGH benutzten Rechenmethode in rund 90 Prozent der Fälle zum Wegfall von Schadensersatz führt.
Urteile gab es am OLG zunächst noch nicht. Entweder wurde die Klage zurückgezogen oder die Streitparteien wollen auf die vorläufige Einschätzung des Gerichts mit neuen Schriftsätzen reagieren. Erst im Herbst wird es am OLG weitergehen. Bis dahin werden sich vermutlich auch noch zahlreiche andere Gerichte positionieren.
OLG Stuttgart verneint Haftung bei Mercedes-Thermofenster: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52361 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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