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LSG Celle zu vermeintlichem Privatdarlehen: Weniger Geld, wenn die Familie hilft

07.08.2017

Mann sitzt vor Schreibtisch voller Rechnungen

© WavebreakMediaMicro - stock.adobe.com

Ein "privater Darlehens-Nothilfevertrag" sollte es sein, tatsächlich war es ein familiärer Unterhalt: Die Zahlungen einer Mutter an ihren Sohn müssen bei der Ermittlung des Grundsicherungsbetrags durch das Jobcenters berücksichtigt werden.

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Eine für die Grundsicherungsleistung erforderliche Hilfebedürftigkeit bei den Leistungsempfängern besteht nicht, wenn ein familiärer Unterhalt gezahlt, dieser aber als Darlehen deklariert wird. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem am Montag veröffentlichten Beschluss entschieden (Beschl. v. 27.06.2017, Az. L 11 AS 378/17 B ER).

In dem Fall ging es um eine vierköpfige Familie, die einen Klempnerbetrieb als Familienunternehmen führt und ergänzend Grundsicherungsleistungen bezieht, weil sie den notwendigen Lebensunterhalt aus eignen Mitteln und Kräften nicht bestreiten kann.

Um den finanziellen Spielraum zu erweitern, hatte der Vater der Familie mit seiner Mutter einen als solchen bezeichneten "privaten Darlehens-Nothilfevertrag" abgeschlossen. Damit konnte der Mann ohne Kreditsicherheiten nach Bedarf zinslose und scheinbar unbegrenzte Darlehensbeträge abrufen. Die Tilgung sollte nach Leistungsfähigkeit und ohne verbindliche Termine erfolgen.

Jobcenter geht von verdeckter Schenkung aus

Die Zahlungen bewertete das Jobcenter als verdeckte Schenkung und verneinte daraufhin eine Hilfsbedürftigkeit, welche aber Voraussetzung für Leistungen zur Grundsicherung sind. Gegen die daraufhin eingestellten Hilfeleistungen setzte sich die Familie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Wehr.

Das erstinstanzlich zuständige Sozialgericht (SG) Braunschweig folgte der Argumentation der Familie und ging von einer glaubhaften Rückzahlungspflicht aus. Aus den Kontoauszügen seien wiederholte Zahlungen an die Mutter ersichtlich, begründete das SG seine Entscheidung, eben keine verdeckte Schenkung anzunehmen.

Im Beschwerdeverfahren hat sich das LSG aber überwiegend der Auffassung des Jobcenters angeschlossen und den Darlehensvertrag zumindest teilweise als Scheingeschäft bewertet. Zwar hätten Mutter und Sohn den Vertrag ausdrücklich als "Darlehensvertrag" bezeichnet und als Verwendungszweck bei den wechselseitigen Überweisungen Begriffe wie "Darlehen" und "Nothilfe" verwendet. Die rechtliche Einordnung bestimme sich aber nicht nach den Bezeichnungen durch die Beteiligten selbst, sondern nach dem tatsächlichen Rechtscharakter.

Vertragsbedingungen einfach zu günstig

Für die Entscheidung hat das Gericht die vollständigen Kontoauszüge der vergangenen vier Jahre herangezogen und ermittelt, dass in dieser Zeit etwa 58.000 Euro ausgezahlt und nur circa 29.000 Euro wieder zurückgezahlt wurden. Zwar seien Darlehens- beziehungsweise Tilgungsbeträge unregelmäßig und in unterschiedlicher Höhe hin und her überwiesen worden, jedoch bestünden keine letztlich wirklich durchsetzbaren Rückzahlungspflichten, so das LSG.

Die Celler Richter monierten, dass weder die Darlehens- noch die Vertragslaufzeit im Vertrag fest geregelt war. Ebenso seien vom Sohn keine Sicherheiten geleistet worden und auch Zinsen habe er nicht zahlen müssen. Neben diesen sehr vorteilhaften "Vertragskonditionen" spreche ferner für ein Scheingeschäft, dass die angeblich erste Darlehenszahlung bereits im Juli erfolgte, obwohl der entsprechende Vertrag erst einen Monat später abgeschlossen wurde.

LSG: "Nothilfe-Darlehen" kein ernst gemeinter Vertrag

Nicht nachvollziehbar und letztlich nur durch die Annahme eines zumindest teilweisen Scheingeschäfts konnten sich die Richter erklären, dass der Mann an seine Mutter 3.000 Euro zurückzahlte, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bislang lediglich 1.600 Euro als - angebliches - Darlehen ausgezahlt haben soll.

Alles in allem war sich der Senat deswegen sicher, dass es weder einen ernsthaften und auf vollständige Tilgung gerichteten Willen des Vaters als Darlehensnehmers noch ein ernsthaftes Rückforderungsverlangen der Mutter als Darlehnsnehmerin gegeben habe. Auch eine anderslautende eidesstattliche Versicherung der Mutter konnte das LSG nicht vom Gegenteil überzeugen.

Als Ergebnis einer Schätzung hat das Gericht nun einen deutlich reduzierten Hilfebedarf von monatlich 180 Euro ermittelt und die endgültige Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

mgö/LTO-Redaktion

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LSG Celle zu vermeintlichem Privatdarlehen: Weniger Geld, wenn die Familie hilft . In: Legal Tribune Online, 07.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23841/ (abgerufen am: 23.09.2023 )

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