Unionsbürger bekommen auch ohne Aufenthaltsrecht Sozialhilfe, entschied das LSG Berlin-Brandenburg – zumindest solange die Ausländerbehörde keine Ausweisungsverfügung erlassen hat.
Unionsbürger können Überbrückungsleistungen beim Sozialamt auch ohne Aufenthaltsrecht beantragen – zumindest solange die Ausländerbehörde keine Ausweisungsverfügung erlassen hat. Das geht aus einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg hervor, welches das Gericht am Montag veröffentlichte (Urt. v. 11.07.2019, Az. L 15 SO 181/18).
"Dieses Urteil betritt Neuland", sagte ein Sprecher des Gerichts. Es entscheide entgegen der Regel, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht keine Sozialhilfe bekommen. In dem Fall ging des um Überbrückungsleistungen. Das sind Mindestleistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts. Sie sind niedriger als die regulären Leistungen der Sozialhilfe und zeitlich befristet - beispielsweise bis zu einer möglichen Ausreise.
Geklagt hatte eine in Prag geborene Frau, die sowohl die tschechische als auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzt, lange in Syrien gelebt hat und kriegsbedingt 2015 nach Deutschland eingereist war.
LSG: Aufenthalt ohne Ausreiseverfügung rechtmäßig
Das Sozialgericht (SG) Potsdam hatte die Klage in erster Instanz abgewiesen. Zur Begründung hieß es, dass die Frau keinen Anspruch auf reguläre Leistungen der Sozialhilfe habe, weil sie kein europarechtliches Aufenthaltsrecht habe.
Das LSG Berlin-Brandenburg hat nun zugunsten der Frau entschieden und ihr Überbrückungsleistungen zuerkannt. Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage, ob eine Unionsbürgerin gänzlich von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen sein kann. Denn sie sei gegenüber anderen Ausländerinnen privilegiert, so das LSG: Auch wenn Unionsbürgerinnen objektiv kein Freizügigkeitsrecht besäßen, gelte ihr Aufenthalt als rechtmäßig, solange die Ausländerbehörde ihn nicht rechtswirksam beendet hat. Sie seien bis dahin ausländerrechtlich nicht zur Ausreise verpflichtet.
Deswegen hat der 15. Senat entschieden, dass Unionsbürger auch ohne ein materielles Aufenthaltsrecht Anspruch auf Überbrückungsleistungen haben, solange die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlässt, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es wurde bereits Revision zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt (Az. B 8 SO 7/19 R).
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
LSG Berlin-Brandenburg zu Überbrückungsleistungen für EU-Bürger: . In: Legal Tribune Online, 30.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37923 (abgerufen am: 04.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag