Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg hatte mit vielen falschen und ehrverletzenden Kommentaren über sich auf Twitter zu kämpfen. Einige davon muss die Plattform nun löschen, entschied das LG Frankfurt am Main.
Ehrverletzende und falsche Tweets muss Twitter löschen, wenn Betroffene das verlangen. Das hat das Landgericht (LG) Frankfurt am Main im Eilverfahren entschieden (Urt. v. 14.12.2022, Az. 2-03 O 325/22). Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt. In Bezug auf Facebook hat das so bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 entschieden.
Auf Twitter behaupteten Nutzer wahrheitswidrig, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, habe "eine Nähe zur Pädophilie" und er habe "einen Seitensprung gemacht". Auch wurde über ihn verbreitet, er sei in "antisemitische Skandale" verstrickt und er sei "Teil eines antisemitischen Packs". Mehrfach meldete Blume im durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eingeführten Verfahren die Kommentare, so schildert es die gemeinnützige Organisation HateAid, die ihn im Verfahren unterstützte. Nach dem NetzDG hätte Twitter ihm demnach eine Beschwerdemöglichkeit einräumen müssen. Außerdem hätte die Plattform ihn auf die Option hinweisen müssen, Strafanzeige gegen den Verfasser zu erstatten.
Twitter habe allerdings nahezu alle Kommentare online stehen gelassen. Erst mehr als eine Woche nach der Meldung seien sie verschwunden. Dies geschah aber nicht, weil Twitter sie dauerhaft entfernte, sondern weil der für die Verleumdungen hauptverantwortliche Account gesperrt wurde, so HateAid.
Blume wollte aber, dass Twitter die Kommentare löscht - und hatte vor dem LG nun im Eilverfahren Erfolg.
Nicht alle Kommentare sind unzulässig
Das Gericht hat festgestellt, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als "Antisemit" sei zwar eine Meinungsäußerung. Sie sei aber in diesem Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Vielmehr ziele sie erkennbar darauf ab, Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.
Twitter hätte nach der Aufforderung des Antisemitismusbeauftragten, die Kommentare zu löschen, ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Dazu erklärt das LG: "Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden."
Allerdings seien die Äußerungen nicht in jeglichem Kontext zu untersagen, führt das LG weiter aus. Betroffen seien nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen seien. Der Äußerungskern müsse identisch sein. Twitter habe auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Millionen Nutzer. Prüfen müsse die Plattform nur konkret beanstandete Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Als zulässig erachtete die Kammer die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Es gehe nicht um die Frage, ob die Aufnahme gerechtfertigt sei. Es ginge um die Information über die Aufnahme in der Liste. Darüber dürfe grundsätzlich informiert werden, erklärte das Gericht. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.
HateAid: "Betroffene meist hilflos zurückgelassen"
HateAid begrüßt das Urteil, habe jedoch auch Kritik zu üben: "Eine Klage darf nicht die einzige Möglichkeit sein, um sein Recht auf Social Media Plattformen durchsetzen zu können. Diese systemischen Defizite in der Content-Moderation auf Twitter beobachten wir schon länger - meist lassen sie Betroffene hilflos zurück."
Blume wurde vertreten von Rechtsanwalt Chan-jo Jun von Jun Rechtsanwälte. "In einer idealen Welt bemühen sich Unternehmen die für sie geltenden Gesetze so gut wie möglich zu befolgen. Twitter stellt sich inzwischen dazu im Widerspruch", meint der Rechtsanwalt und sieht den Verfahrensausgang als Erfolg: "Mit dem Urteil wird es künftigen Opfern viel leichter sein, ihre Rechte durchzusetzen."
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden.
cp/LTO-Redaktion
Antisemitismusbeauftragter vor LG Frankfurt erfolgreich: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50468 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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