Ein junger Mann drückt das Gaspedal seines Sportwagens voll durch und rast durch die Stuttgarter Innenstadt – bis der 20-Jährige gegen einen Kleinwagen prallt und die beiden Insassen sterben. Nun muss er sich wegen Mordes verantworten.
Nach einem tödlichen Raserunfall muss das Landgericht (LG) Stuttgart entscheiden, ob ein junger Autofahrer wegen zweifachen Mordes verurteilt werden soll, am Mittwoch hat dort der Prozess begonnen (4 Kls 60 Js 24715).
Beim Blick auf den Sachverhalt sind Parallelen zum Fall der Berliner Ku'Damm-Raser nicht so weit hergeholt. Der nun angeklagte 20-Jährige soll am Steuer eines gemieteten Jaguar-Sportwagens in einer Tempo-50-Zone mit mehr als 160 Stundenkilometern auf eine Kreuzung zugerast sein. Bei einem Ausweichmanöver verliert er die Kontrolle über sein Auto und prallt gegen einen stehenden Kleinwagen. Zwei Menschen sterben: ein 25-jähriger Mann aus Kaarst in NRW und seine 22-jährige Freundin.
Im "Geschwindigkeitsrausch" sei der junge Mann mit seinem Jaguar F-Type Coupe durch Stuttgart und über die Autobahn gefahren, schildert die Staatsanwältin zu Beginn des Prozesses vor der Jugendkammer. Seinen gemieteten Boliden habe er an seine Grenzen bringen und seinen Freunden imponieren wollen. Das Schicksal anderer? "Das war ihm völlig gleichgültig", sagt sie.
Gutachten: Raser hat Gaspedal voll durchgedrückt
Er sei vor dem Crash mit seinem PS-starken Auto und 160 bis 165 Stundenkilometern trotz unklarer Verkehrslage auf eine Kreuzung in der Innenstadt zugerast. "Der Angeklagte hat den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen", sagte die Staatsanwältin. Nur vom Zufall sei abhängig gewesen, ob es zum Zusammenstoß kommen würde. Es ist die erste Anklage dieser Art nach einem Raser-Unfall in Baden-Württemberg.
Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen fahrlässiger Tötung gegen den 20-Jährigen ermittelt, der selbst unverletzt geblieben war. Entscheidend für die Mordanklage war dann ein Gutachten zur Geschwindigkeit. Die Auswertung des Bordcomputers ergab, dass der Fahrer das Gaspedal kurz vor dem Unfall bis zum Anschlag durchgedrückt hatte. Als er einem anderen Fahrzeug an einer Kreuzung ausweichen wollte, verlor er die Kontrolle über sein 550 PS starkes Auto. Mit rund 100 bis 110 Stundenkilometern rammte er einen stehenden Kleinwagen.
Ist das ein Mord? "Keineswegs", sagt dagegen Markus Bessler, der Verteidiger des jungen Unfallfahrers. Der Zusammenstoß sei zwar unfassbar tragisch gewesen. Aber sein Mandant trage schwer an seiner Verantwortung, er sei zudem nicht vorbelastet gewesen. "Den Vorwurf eines Mordes weisen wir daher entschieden zurück."
Am ersten Prozesstag ging es zentral um die Frage, ob der 19-jährige Beifahrer während der rasanten Fahrt Videoclips für seinen Instagram-Account gedreht hat. Denn schließlich war das nach seiner eigenen Aussage der einzige Grund, in den Sportwagen zu steigen.
Mordurteil zu den Berliner Ku'Damm-Raser liegt noch beim BGH
Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Die Staatsanwaltschaft muss dem 20-Jährigen den Tötungsvorsatz im konkreten Fall nachweisen. Das deutschlandweit erste Raser-Mordurteil aus Februar 2017 hatte der BGH hingegen kassiert. Die Karlsruher Richter sahen den bedingten Tötungsvorsatz bei zwei Angeklagten nach einem tödlichen Autorennen in der Berliner Innenstadt nicht ausreichend belegt. Im neu aufgerollten Prozess wurden die Männer vom LG Berlin im März dann erneut wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Diese Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Der BGH hat sich mit der erneuten Revision auseinanderzusetzen.
In dem Berliner Fall ging es maßgeblich um die Frage des Zeitpunktes der Vorsatzbildung: Bis wann konnten die Angeklagten ihre Fahrt noch rechtzeitig vor dem Zusammenprall stoppen, und lässt sich zu diesem Zeitpunkt ein Tötungsvorsatz erkennen? Andere juristische Streitpunkte waren die Mordmerkmale. Handelt ein Raser heimtückisch wenn er in einem tödlichen Unfall auf einen Unbeteiligten prallt, den er gar nicht wahrnehmen konnte?
Auch als Konsequenz aus dem Berliner Fall hat der Gesetzgeber Strafen gegen Raser verschärft. Nach dem neuen § 315d Strafgesetzbuch (StGB) werden verbotene Rennen im Straßenverkehr mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet, wenn dabei Menschen schwer verletzt oder getötet werden.
Da der angeklagte Mann zum Tatzeitpunkt jünger als 21 Jahre war, gilt er als Heranwachsender, und es wird öffentlich vor einer Jugendkammer verhandelt. Bislang sind Termine bis Mitte November angesetzt.
dpa/mgö/kus/LTO-Redaktion
Prozessauftakt vor dem LG Stuttgart: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37563 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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