LG München I zur Weiterbehandlung eines Sterbenskranken: Kein Sch­mer­zens­geld für erlit­tenes Leben

von Maximilian Amos

18.01.2017

Rechtfertigt eine unangemessen lange Behandlung eines Sterbenskranken einen Schmerzensgeldanspruch? Gibt es ein Schmerzensgeld für erlittenes Leben? Das LG München I entschied diese Frage nicht. Doch der Fall wird durch die Instanzen gehen.

Wenn Ärzten im Zusammenhang mit der Behandlung von Sterbenskranken Ärger droht, dann für gewöhnlich mit dem Vorwurf, zu wenig getan zu haben. Der Fall, den das Landgericht (LG) München I am Mittwoch zu entscheiden hatte, war dagegen anders gelagert. Der Sohn eines inzwischen Verstorbenen verklagte dessen Arzt auf Schmerzensgeld für eine zu lange Behandlung seines Vaters. Das LG wies die Klage ab (Urt. v. 18.01.2017, Az. 9 O 5246/14).

Der Mann hatte geklagt, weil sein Vater, der zum fraglichen Zeitpunkt schwer dement und sterbenskrank war, aus seiner Sicht zu lange am Leben erhalten worden sei. Die fortgesetzte künstliche Ernährung habe das Leiden seines Vaters unnötig verlängert, so seine Argumentation. Dafür forderte er als dessen Alleinerbe posthum ein Schmerzensgeld, sowie Ersatz von Behandlungskosten in Höhe von insgesamt rund 150.000 Euro.

Vom Jahr 2006 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 war der Verstorbene mit einer Magensonde ernährt worden. Jedenfalls im letzten Jahr sei die Lebenserhaltung durch seinen Arzt, einen niedergelassenen Allgemeinmediziner, nicht mehr medizinisch indiziert gewesen, argumentierte der Mann.

Pflichtverletzung, aber kein kausaler Schaden

Das Gericht war zwar der Ansicht, dass die Lebensverlängerung zur fraglichen Zeit tatsächlich "nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechend" gewesen sei. In diesem Fall steht die Entscheidung, ob er dennoch weiterleben möchte, dem Patienten selbst zu, es lag aber weder eine Patientenverfügung vor noch konnte der mutmaßliche Wille des Mannes erforscht werden. Somit kam es auf die Entscheidung der Vertretungsbefugten an.

Weder den Sohn des Mannes noch seinen Betreuer hatte der Arzt aber gefragt, ob die Weiterbehandlung im Interesse des Behandelten stehe. Hierin sah das Gericht eine Verletzung der Pflicht des Arztes aus § 1901 b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Konsequenz, dem Sohn als Rechtsnachfolger des Verstorbenen einen Schmerzensgeldanspruch zuzugestehen, zog die Kammer daraus aber nicht.

Grund dafür ist, dass die Richter es nicht als erwiesen ansahen, dass ein klärendes Gespräch zwischen Arzt und den entscheidungsbefugten Personen zwangsläufig eine Entscheidung für einen Behandlungsabbruch ergeben hätte. Das Leiden des Patienten und die entstandenen Behandlungskosten seien daher nicht nachgewiesenermaßen kausal durch die Pflichtverletzung entstanden. 

LG: Keine Vermutung behandlungsgerechten Verhaltens

Für den Anwalt des klagenden Sohnes, Wolfgang Putz, ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. Gegenüber LTO erklärte er, sein Mandant, der in der Verhandlung nicht angehört wurde, habe schließlich bereits zu Lebzeiten seines Vaters eine Anwaltskanzlei mandatiert, um Krankenunterlagen zu besorgen, die bestätigen sollten, dass die Lebensverlängerung nur noch Leiden verursachte. Eine Entscheidung gegen den Behandlungsabbruch sei daher kaum denkbar gewesen. "Und in diesem Fall hätte man ohnehin das Betreuungsgericht anrufen müssen" erklärte Putz.

Der Medizinrechtler hält es auch für nicht interessengerecht, die Beweislast auf Seiten der Angehörigen anzusiedeln. Vielmehr sei eine Vermutung nach dem Grundsatz des behandlungsgerechten Verhaltens geboten. Danach ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Angehörigen der medizinisch indizierten Vorgehensweise zustimmen.

Das LG München I sieht das anders. Die Richter führten in der Urteilsbegründung aus, dieser Grundsatz könne nicht zur Annahme einer Zustimmung zum Behandlungsabbbruch führen. Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundrechts auf Leben stelle sich die Entscheidung über dessen Wert als höchstpersönlich dar. Für einen allgemeinen Vermutungssatz sei daher kein Raum.

Aus Sicht von Wolfgang Putz hat das Urteil dennoch "Bedeutung über den Fall hinaus". Das LG habe entschieden, dass es ein Behandlungsfehler sein könne, einen Patienten am Leben zu erhalten. "Der Arzt muss die Familie fragen, ob es dem Willen des Patienten entspräche, ihn am Leben zu erhalten. Deswegen ist dieses Urteil so wichtig" betonte der Mitverfasser des Buchs "Sterben dürfen". Er sieht nun die Ärzte haftungsrechtlich unter Druck. Nichtsdestotrotz wolle man in die nächste Instanz gehen.

Er hofft, dass die nächsten Instanzen auch einen anderen Aspekt beleuchten werden, den das LG München I nicht thematisiert hat: Die Frage nämlich, ob es überhaupt einen Schmerzensgeldanspruch für "erlittenes Leben", im medizinrechtlichen Jargon ein sogenanntes "wrongful life", geben kann.

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, LG München I zur Weiterbehandlung eines Sterbenskranken: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21814 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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