Cem Özdemir darf nicht behaupten, Otto Schily habe als Innenminister am Tag nach dem Anschlag auf die Kölner Keupstraße einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen. Vor dem LG München I ging es viel darum, worum es nicht ging.
Otto Schily hat nicht schon einen Tag nach dem NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße einen terroristischen Hintergrund des Anschlags ausgeschlossen. Das stellte die 25. Zivilammer des Landgerichts (LG) München I am Mittwoch fest (Urt. v. 25.10.2017, Az. 25 O 4233/17). Sie gab damit der Klage des ehemaligen Innenministers statt, der sich gegen die Behauptung wehrte, die sich im Vorwort zu einem Buch zu den Folgen der Verbrechen des NSU findet.
Schily hatte bereits Anfang des Jahres eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es Özdemir untersagte, diese Behauptung aufzustellen. Der Grünen-Politiker legte Widerspruch ein, den er erst kurz vor dem Beginn des Hauptsacheverfahrens wieder zurück nahm. Er gab aber keine Abschlusserklärung ab, die den Rechtsstreit im vorläufigen Rechtsschutz beendet hätte.
Cem Özdemir wusste also eigentlich, was die Kammer auch in der mündlichen Verhandlung Anfang Oktober feststellte: Hier ging es nur darum, ob er Schily korrekt zitiert hat. Und das war eben nach Ansicht der Münchner Richter nicht der Fall. Cem Özdemirs Anwalt Mehmet Daimagüler hat nach Medieninformationen bereits angekündigt, dass er mit der Sache notfalls bis zum Bundesgerichtshof gehen will. Sein Angebot, wie das verhindert werden könnte, erklärt schnell, worum seinem Mandanten mutmaßlich wirklich geht: "Vielleicht überlegt mein Mandant es sich anders, wenn Herr Schily sich bei den Bewohnern der Keupstraße entschuldigt."
Özdemir darf Buchpassage nicht wiederholen
Das hat Otto Schily wohl nicht getan, einigen wollte sein Vertreter Maximilian Ott sich vor dem LG München I nicht. Nun darf der Bundesvorsitzende der Grünen bis auf Weiteres nicht behaupten: "Ein terroristischer Hintergrund wurde dagegen bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlossen - von keinem Geringeren als dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily."
Diese Aussage findet sich in Cem Özdemirs Vorwort zu dem Buch "Die haben gedacht, wir waren das - MigrantInnen über rechten Terror und Rassismus". In dem Werk äußern sich zahlreiche Autoren, unter ihnen Opfer und ihre Angehörigen, Persönlichkeiten aus Publizistik, Wissenschaft und Politik und Aktivisten, allesamt mit Migrationshintergrund, zu ihren Erfahrungen mit rechter Gewalt und Diskriminierung - und zu der über lange Zeit unzureichenden Aufklärung des NSU-Terrors. Das Buch beschäftigt sich insbesondere mit den Auswirkungen, die es hatte, dass die Opfer des Anschlags in der vorwiegend von Migranten bewohnten Straße zunächst selbst der Tat verdächtigt wurden.
Özdemir setzt sich seit Langem für die Belange der Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags ein, sie sind auch sein Anliegen in diesem Prozess. Gleiches gilt für seinen Anwalt Mehmet Daimagüler: Der Wirtschaftsanwalt aus München, ehemalige Politiker und Kolumnist vertritt auch Opfer im NSU-Prozess. "Wenn sich ein Bundesinnenminister der Bundesrepublik Deutschland hinstellt und sagt: eher kein terroristischer Hintergrund, dann ist er doch keine Privatperson. Wenn er von einem kriminellen Milieu spricht, dann hat das eine unglaubliche Wirkungsmacht", betonte Daimagüler in der Verhandlung.
LG München I: Vorläufige Einschätzung ist keine Festlegung
Natürlich weiß Daimagüler, dass es in einem zivilrechtlichen Äußerungsrechtsstreit darum nicht geht. Sondern darum, was Schily tatsächlich sagte, einen Tag nach dem Nagelbombenanschlag im Juni 2004, bei einer Pressekonferenz in Paris: "Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu." Es folgte der Nachsatz: "Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann."
Für Özdemir war der Nachsatz eine "banalae und substanzlose Äußerung". Für die Kammer macht er Schilys Worte eindeutig zu einer vorläufigen Einschätzung und gerade nicht zu dem von dem Grünen-Vorsitzenden behaupteten "Ausschluss". "Die Wortwahl 'deuten nicht ..., sondern .. ' vermeidet ausdrücklich eine eindeutige Festlegung hinsichtlich der Hintergründe des Anschlags", heißt es in dem Urteil, das LTO vorliegt. Zudem habe Schily eine abschließende Beurteilung gerade abgelehnt. Seine Äußerung könne "keinesfalls so verstanden werden, dass er einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen hat".
Özdemirs unzutreffende gegenteilige Behauptung hat Otto Schily daher in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, so das LG München I. Sie sei zudem die Grundlage für den der Öffentlichkeit in dem Buch nahegelegten Schluss, dass er als damaliger Bundesinnenminister vorschnell und ohne ausreichende Grundlage eine abschließende Fehleinschätzung kundgetan und damit auch die Ermittlungen in eine falsche Richtung gelenkt habe. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Grünen-Politikers muss daher hinter den Persönlichkeitsinteressen des damaligen Innenministers zurücktreten.
Die weiteren Ausführungen des Gerichts drehen sich vor allem darum, worum es in dem Prozess nicht ging. "Es kann daher dahinstehen, welche Erkenntnisse die Sicherheitsbehörden am 10. Juni 2004 hatten", heißt es dort. "Dass der Anschlag und auch die anschließenden Ermittlungen für die Anwohner und Gewerbetreibenden der Keupstraße verheerend waren, weil sie über Jahre hinweg dem Verdacht ausgesetzt waren, in kriminielle Machenschaften verstrickt zu sein, ist zwischen den Parteien unstreitig, rechtfertigt aber die unzutreffende Behauptung des Beklagten nicht".
Pia Lorenz, Cem Özdemir verliert Äußerungsrechtsstreit gegen Otto Schily: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25217 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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