LG München: Demjanjuk-Prozess zieht sich hin

dpa/age/LTO-Redaktion

16.08.2010

Fast ein Jahr zieht sich der Indizienprozess um John Demjanjuk, mutmaßlicher SS-Wachmann und möglicher Beteiligter an NS-Verbrechen, bereits hin. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Gleichwohl entspräche eine Verurteilung des 90-jährigen einer Wende in der Rechtsprechung.

Die Suche nach der Wahrheit bezüglich einer möglichen Mitschuld John Demjanjuks an der Ermordung zehntausender Juden am Landgericht (LG) München gestaltet sich als schwierig. Seit den 70er-Jahren geriet Demjanjuk immer wieder ins Visier der amerikanischen, israelischen und - seit 2008 - deutschen Justiz. Er verbrachte mehrere Jahre in israelischer Haft, wurde zum Tode verurteilt, am Ende aber freigesprochen.

Auch die Auslieferung nach Deutschland verlief problematisch: In einem monatelangen juristischen Tauziehen bemühte Demjanjuk sämtliche Instanzen, um diese zu verhindern - vergeblich.

Demjanjuk selbst hat stets alle Vorwürfe bestritten.

Auch in sonstiger Hinsicht treten in dem Indizienprozess immer wieder Schwierigkeiten auf: Aufgrund des Gesundheitszustandes des 90-jährigen platzten mehrfach Verhandlungstage, auf ärztliche Anweisung darf ohnehin pro Tag nur drei Stunden verhandelt werden. Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch überzieht das Gericht mit Anträgen, verlangt die Beiziehung zahlreicher Dokumente.

Der Umfang des vom Gericht zu verarbeitenden Materials ist enorm. Frühere Ermittlungen und Verhöre bereits gestorbener Zeugen werden herangezogen, ebenso soll das Urteil aus Jerusalem von 1988 verlesen werden.

Eine konkrete Tat ist Demjanjuk nicht nachzuweisen. Seine Verurteilung wäre daher eine Wende in der Rechtsprechung. Thomas Walther, ermittelnder Richter bei der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, argumentiert dass eine "industriell durchgeführte Massentötung" eine Modifizierung des "ehernen Grundsatzes" des Strafrechts bedürfe.

Dies wurde von der deutschen Justiz im Sobibor-Prozess der 60er-Jahre noch anders beurteilt. Dort gab es einen Freispruch wegen Befehlsnotstands.

Es wird erwartet, dass der Prozess noch zwei bis drei Jahre dauern wird.

Zitiervorschlag

LG München: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1204 (abgerufen am: 07.10.2024 )

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