Ein Twitternutzer postete ein von Twitter selbst bereitgestelltes Bild mit einer Szene aus "The Addams Family". Laut LG ist darin "keinesfalls" ein Aufruf zur Tötung zu sehen. Twitter muss den Post nun wiederherstellen.
Ein Twitternutzer durfte in einem Kommentar ein Bild von Wednesday Addams aus der Serie "The Addams Family" posten – schließlich hat Twitter das Bild selbst zur Verfügung gestellt. Obwohl das Bild die "Halsabschneider-Geste" zeigt und im Kontext mit den Corona-Maßnahmen steht, sei die Verwendung des Bildes von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Nutzer hat nun einen Anspruch auf Wiederherstellung des gelöschten Tweets. Zudem muss Twitter seinen ebenfalls suspendierten Account wieder freistellen. Das hat das Landgericht (LG) Lübeck entschieden (Urt. v. 17.1.2022, Az. 10 O 387/21).
Das LG hatte sich mit der Klage eines Twitternutzers zu beschäftigen, der im November 2021 einen retweeteten Post kommentierte, der den Inhalt "Freiheit ist wichtiger als Gesundheit" und den Titel "Shall we play a game?" hatte. Der klagende Twitternutzer kommentierte dies mit einem Bild von einer Szene des Films "The Addams Family", in der die Figur des Mädchens Wednesday Addams eine kopflose Puppe in der Hand hält und mit ihrem linken Zeigefinger eine horizontale Bewegung über ihre Kehle macht. Daraufhin suspendierte Twitter den Account des Nutzers, sodass er nur noch Inhalte lesen, aber nicht erstellen konnte. Twitter begründete diesen Schritt mit einem Verstoß gegen die Twitter-Regeln über "abuse und harassment".
Dagegen ging der Twitternutzer vor und beantragte, Twitter dazu zu verurteilen, den gelöschten Tweet wiederherzustellen sowie sein Twitterkonto wieder in dem Zustand freizuschalten, in das es sich vor der Sperrung befand. Twitter hingegen beantragte die Abweisung der Klage: Der Nutzer hätte bereits in früheren Beiträgen gegen die Twitter-Richtlinie verstoßen. Die als Kommentar verwendete Bilddatei könne nur als Aufruf zu körperlicher Gewalt im Sinne des § 111 Strafgesetzbuch (StGB) verstanden werden bzw. beinhalte eine Bedrohung nach § 241 StGB. Als strafrechtlich relevante Äußerungen seien sie nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.
"Allgegenwärtiger Einsatz der Halsabschneider-Geste"
Vor dem LG bekam der Twitternutzer nun Recht. Er habe einen Anspruch auf Wiederherstellung des gelöschten Tweets mit der Bilddatei und auf Freischalten seines Accounts nach §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Twitter habe gegen seine vertragliche Verpflichtung aus dem Nutzungsvertrag mit dem Twitternutzer verstoßen. Demnach sei Twitter verpflichtet, das Nutzerkonto zu unterhalten und ihm die Möglichkeit zu gewähren, Beiträge und Kommentare zu fertigen. Die Veröffentlichung der Bilddatei habe weder gegen Strafgesetze noch gegen die vertraglichen Bestimmungen oder Richtlinien von Twitter verstoßen.
Die Veröffentlichung der Abbildung als Kommentar sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, sie erfülle keinen der von Twitter angeführten Straftatbestände. Bei der Beurteilung einer Meinungsäußerung auf einer Plattform ist laut Urteil auf einen eher "flüchtigen Durchschnittsbeobachter" abzustellen.
Im konkreten Fall könne man etwa annehmen, so das LG, dass die Geste des Mädchens auf dem Bild mit dem Zeigefinger als Metapher für den Wunsch gesehen werden kann, dass ein Zustand oder eine Betätigung enden möge. Das LG bezieht sich in seiner Auslegung auch auf den "allgegenwärtigen Einsatz der Geste". Ihr könne nahezu jeder Bedeutungsgehalt zukommen, der mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl verbunden ist, oder man könne es als eine Art "Schach matt" deuten. "Keinesfalls" verstehe ein durchschnittlicher Beobachter die Geste jedoch als Ankündigung einer Tötung des Gegners oder einem Aufruf zu dessen Tötung.
Die "Addams Family" liebe das Makabre
Das werde schon dadurch deutlich, dass die Szene nun einmal aus "The Addams Family" entstammt – und da "lieben sie das Makabre", so das Lübecker Gericht, das sich damit auf eine recht ausführliche Interpretation des Filmklassikers einließ. So habe die abgebildete Wednesday zwar eine Vorliebe dafür, Mordpläne gegen ihren Bruder zu schmieden. Das füge sich aber in andere, rätselhafte Umstände ein, die die Addams Family auf absurde Weise charakterisierten. Hätte der Twitternutzer tatsächlich Tötungsgedanken zum Ausdruck bringen wollen, hätte er hierfür "einen kämpferisch auftretenden Agenten anstelle der Figur der Wednesday Addams auswählen müssen".
Die Verbindung mit dem Tweet "Shall we play?" ändere daran nichts. Diese Frage stamme aus der Filmreihe "Saw". Dort stelle ein psychopathischer Serienmörder seinen Opfern meistens vor der Folter die Frage "Do you wanna play a game?". Das LG erkennt, dass das "freilich keine wirkliche Frage" sei – schließlich hätten die Opfer in der Serie keine andere Wahl als "mitzuspielen". Daraus folgert das LG, dass die Frage im Tweet in Anlehnung an "Saw" für den Durchschnittsbetrachter als eine rhetorische Frage aufzufassen ist.
"Äußerst widersprüchliches" Handeln von Twitter
Darüber hinaus stehe der Ursprungstweet im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung zwischen Jan Böhmermann und einem weiteren Twitternutzer, welche wiederum im Kontext und mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie stehe. Diese seien nun einmal alle als "Einschränkung der Freiheit zur Bekämpfung der Pandemie gedacht" und damit zur Verbesserung der Gesundheit der Bürger. Da dies wiederholt Thema vor Gerichten, in der Politik und Gesellschaft ist, sei es offensichtlich, dass der Tweet auch polarisiere. Polarisierungen seien oft überspitzt und provozierend, um zur leichteren Verständlichkeit beizutragen. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Gegenreaktion ebenfalls polarisierend wirke. So könnten sowohl die Gesten des Halsabschneidens als auch die Aussage "Shall we play a game?" als krasse Ablehnung der Aussage verstanden werden.
Das LG sieht außerdem keinen Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Twitter – und zwar auch deshalb, weil Twitter das streitgegenständliche Bild selbst in ihrer Anwendersoftware zur Verwendung bereithält. Es sei "äußerst widersprüchlich", wenn Twitter Sanktionen gegen Nutzer ergreifen könnte, weil diese von Twitter selbst zu Kommentarzwecken zur Verfügung gestellt Bilddateien verwenden. Da der bildlichen Darstellung weder ein Aufruf zur Gewalt noch ein wiederholter Regelverstoß des Twitternutzers vorliege, komme eine Sperrung des Accounts nach der Twitter-Richtlinie nicht in Betracht.
Die Düsseldorfer Kanzlei Löffel Abrar Rechtsanwälte, die das Urteil zugänglich machte, bezeichnet das Vorgehen Twitters auf Twitter selbst als "skurril".* "Twitter hat es auf ein Gerichtsverfahren ankommen lassen und in der mündlichen Verhandlung versucht, sein offensichtlich widersprüchliches Verhalten zu rechtfertigen", schreibt die Kanzlei in einem Blogpost zu dem Fall.
* Richtiggestellt am 19.1.2022, 17:00 Uhr. In der vorherigen Version stand, dass die Kanzlei den Twitternutzer vertreten habe. Die Kanzlei hat zu dem Urteil zwar einen Blogpost geschrieben, jedoch nirgends behauptet, dass sie den klagenden Twitternutzer vertreten hat.
pdi/LTO-Redaktion
LG Lübeck zur Accountsperre bei Twitter: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47252 (abgerufen am: 13.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag