Eigentlich sollte sie Tiere schützen und Tierquäler belangen. Nun steht eine Staatsanwältin wegen Rechtsbeugung selbst vor Gericht. Laut Anklage soll sie Tiere beschlagnahmt und notveräußert haben, ohne die Tierhalter anzuhören.
Statt selbst anzuklagen muss eine Kieler Staatsanwältin seit Dienstag auf der Anklagebank im Landgericht (LG) Kiel Platz nehmen. Der Vorwurf gegen die suspendierte Tierschutz-Dezernentin: Verdacht der Rechtsbeugung in mindestens zehn Fällen. Der Anklage zufolge soll die Juristin bei Tierschutzermittlungen reihenweise Rinder, Pferde, Schafe, Hunde und Hühner beschlagnahmt und zum Teil zu Ramschpreisen notverkauft haben, ohne den Besitzern das Recht auf Widerspruch vor Gericht einzuräumen (Az. 7 KLs 6/17).
Für die Frau steht bei einer Verurteilung nicht nur die Entfernung aus dem Dienst, sondern auch Gefängnis auf dem Spiel. Rechtsbeugung nach § 339 Strafgesetzbuch (StGB) ist ein Verbrechen und wird mit einem bis fünf Jahre Freiheitsstrafe bestraft.
Die 44-Jährige habe in der Zeit zwischen Ende 2011 und Anfang 2014 ihre Stellung dazu "genutzt, das Tierschutzrecht mit Nachdruck durchzusetzen", sagt Staatsanwalt Joachim Reinhold. "Sie entfernte sich dabei jedoch bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz."
Der Fall der Staatsanwältin löste heftige Proteste von betroffenen Tierhaltern aus. Ihre Aktionen beschäftigten auch Landtagsabgeordnete und das Justizministerium. Auf Anordnung des Generalstaatsanwalts ermittelt die Itzehoer Staatsanwaltschaft gegen die Kollegin.
Arbeitsbelastung, fehlende Einarbeitung und mangelnde Kontrolle
Die Angeklagte selbst, die von Verteidigern aus der Hamburger Kanzlei Strate und Ventzke vertreten wird, räumt zwar Fehler ein: "Keinesfalls aber habe ich das Recht gebeugt." Sie habe den wegen Tierschutzverstößen beschuldigten Tierhaltern "nicht bewusst das Recht beschnitten."
Die Schuld sieht sie woanders: Arbeitsüberlastung, fehlende Einarbeitung und mangelnde Kontrolle durch Vorgesetzte nennt sie als Gründe für fehlerhaftes Verhalten. "Es gab kein planvolles, geschickt angelegtes Konstrukt zur Rettung von Tieren", sagt sie. Banaler Grund sei ihr fahrlässiger Umgang mit dem Gesetz gewesen. "Keinesfalls war ich mir bewusst, dass ich schwerwiegende prozessuale Fehler beging."
Mittlerweile sei ihr klar, dass sie den Notverkäufen beschlagnahmter Tiere nicht die notwendige Sorgfalt gewidmet habe, sagt die 44-Jährige und führt auch Eiligkeit und Arbeitsbelastung an. In ihrem Arbeitszimmer hätten sich Aktenberge an den Wänden, auf und selbst unter dem Schreibtisch getürmt. Kollegen hätten ihr wiederholt Fälle abgenommen. Sie habe sich übernommen und zu wenig delegiert. Sie habe in einigen Bereichen die Kontrolle verloren.
Angeklagte sieht Mitschuld bei den Vorgesetzen
Eine Mitschuld sieht sie bei ihren Chefs: "Selbstverständlich habe ich es als Billigung meines Vorgehens verstanden, dass meine Vorgesetzten keine Kritik an mir übten." Sie sei auch angesichts der massiven Beschwerden betroffener Tierhalter davon ausgegangen, dass ihr Vorgehen von Vorgesetzten, der Generalstaatsanwaltschaft und auch dem Justizministerium mehrfach überprüft worden sei. Die Juristin schilderte, bereits in ihrem ersten Job bei der Staatsanwaltschaft Flensburg mit Problemen im Zusammenhang mit Tierschutzfällen allein gelassen und nach Beschwerden von Haltern unter Druck gesetzt worden zu sein.
Drei Jahre nach ihrem Wechsel zur Kieler Staatsanwaltschaft habe sie 2011 das Tierschutz-Dezernat übernommen. Die damalige stellvertretende Behördenleiterin habe sie darauf hingewiesen, wegen der Kosten für Unterbringung und Versorgung der beschlagnahmten Tiere Notveräußerungen rechtzeitig im Blick zu haben. "Relevant war lediglich das Verhältnis der Kosten zum Wert der Tiere." Ihr sei es darum gegangen, dass die Tiere in staatlicher Obhut tierschutzgerecht gehalten und gefüttert wurden. "Anders als es in der Anklageschrift erscheinen mag, lag der Schwerpunkt meiner Arbeit nicht in der Notveräußerung."
Verhandelt wird in dem Prozess auch der Fall eines Hühnerhalters aus dem Raum Gettorf. 2013 habe die Staatsanwältin in seiner Abwesenheit 600 Legehennen beschlagnahmen lassen, sagt der Mann. "Ohne richterlichen Beschluss." Seine Legehennen hat er nie wiedergesehen. Neben ihm nehmen zum Prozessauftakt auch andere betroffene Tierhalter Platz. Ein Urteil könnte Ende März 2020 fallen.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
Staatsanwältin auf der Anklagebank: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38065 (abgerufen am: 15.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag