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57012

LG Kempten zur Haftung nach StVG: Traktor schleu­dert Gülle, Halter haftet

17.04.2025

Traktor mit Güllefass auf Feld

Der gülleschleudernde Traktor im konkreten Fall fuhr nicht auf einem Feld, sondern auf der Straße. Das war maßgeblich für die Haftung nach dem StVG. Foto: Wolfgang Jargstorff - Adobe Stock

Eigentlich sollte die Gülle auf dem Feld landen und nicht etwa im Pool einer Ferienanlage. Ob der Wind daran schuld war, spielt keine Rolle: Der Halter des Traktors haftet für die Schäden nach dem StVG.

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Ein Landwirt fährt Gülle – und ein Teil davon landet im Außenpool und auf dem Grundstück einer Ferienunterkunft. Das Landgericht (LG) Kempten (Allgäu) hat nun einer Klage der Betreiberin der
Ferienwohnungen teilweise stattgegeben: Der Allgäuer Landwirt muss für die Reinigungskosten und die Schäden von etwa 15.000 Euro aufkommen, LTO liegt das inzwischen rechtskräftige Urteil vor (v. 23.12.2024, Az. 12 O 1063/24).

Der beklagte Landwirt hatte im April 2023 Gülle in der Nähe des betroffenen Grundstücks ausgebracht. Er ist mit seinem Traktor auf einer öffentlichen Straße gefahren, um eine Wiese direkt daneben zu düngen. Durch Windböen sei eine erhebliche Menge Gülle auf die Fläche der klagenden Ferienanlagenbetreiberin geweht worden. Laut Urteil sind der gesamte Gartenbereich einschließlich Bestuhlung, der Pool, die Fenster und die gesamte Hausfassade auf der Gartenseite mit Fäkalien besprüht und verunreinigt worden.

Streitpunkt im Verfahren war unter anderem, ob die Gefahr durch den Wind vorhersehbar war und ob der Landwirt fahrlässig handelte.

Auf ein Verschulden kommt es nicht an

Doch darauf kam es nach Auffassung des Gerichts gar nicht an. Streitgegenständliche Norm sei nämlich die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) – und diese Norm greift unabhängig vom Verschulden. Demnach ist der Halter eines Fahrzeugs verpflichtet den Schaden zu ersetzen, wenn beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs etwa eine Sache beschädigt wird. Laut LG ist das Hauptmerkmal "bei dem Betrieb" nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weit auszulegen. Es genüge, dass sich eine von dem KfZ ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen durch das KfZ "mitgeprägt worden ist". Nach dem Schutzzweck der Norm komme es aber darauf an, dass ein Zusammenhang mit der Fortbewegung des KfZ bestanden habe. Eine Haftung entfalle also, wenn es nur als Arbeitsmaschine eingesetzt worden ist. 

Was sind die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG?

Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, § 7 Abs. 1 StVG.  

Fahrzeughalter ist derjenige, der das Fahrzeug auf eigene Rechnung betreibt und die Sachherrschaft über das Fahrzeug ausübt. Ein Fahrzeug ist "bei Betrieb", solange es sich im Verkehr befindet und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Das Schadensgeschehen muss dabei durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden sein. Insoweit reicht ein naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung des Kfz aus. Schließlich sind die Ausschlussgründe in § 7 Abs. 2 StVG (höhere Gewalt), § 7 Abs. 3 StVG (“Schwarzfahrt”), § 8 StVG und § 17 StVG. Beim letzteren ist die Prüfungsreihenfolge zu beachten: § 17 Abs. 3 StVG ("Idealfahrer") ist vor § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu prüfen.

Was gilt bei Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge?

§ 17 StVG gilt speziell für Fälle der Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge. Bei der Prüfungsreihenfolge ist zu beachten, dass § 17 Abs. 3 StVG vor § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu prüfen ist. Unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines "Idealfahrers" nicht abgewendet werden kann. Zur äußeren Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente. Hierbei kommt es allerdings nicht nur darauf an, wie ein "Idealfahrer" in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch darauf, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Im Rahmen von § 17 Abs. 1 (Geschädigter ist nicht als Kfz-Halter beteiligt) und Abs. 2 (Geschädigter ist selbst als Kfz-Halter beteiligt) StVG ist eine Haftungsabwägung vorzunehmen und die jeweiligen Haftungsanteile entsprechend zu quoteln. Die jeweiligen Verursachungsbeiträge der beteiligten Kfz-Halter sind zu ermitteln und gegenseitig abzuwägen. Besonders schwer wiegen schuldhafte Verstoße gegen die StVO, aber auch eine erhöhte Betriebsgefahr (z.B. eines Lkw).

Nach welchen Vorschriften besteht ein Direktanspruch gegen die Versicherung?

Ein Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Kfz-Halters ergibt sich aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG. Die Haftpflichtversicherung und der Versicherungsnehmer haften gem. § 115 Abs. 1 S. 4 VVG als Gesamtschuldner gegenüber dem Geschädigten. Ihr Innenverhältnis regelt § 116 VVG. 

Gibt es ähnliche Entscheidungen?

Die Frage, ob ein Schaden "bei Betrieb" eines Kfz entstanden ist, ist ein in den Examen sehr beliebtes Thema. Insbesondere bei Grenzfällen lässt sich das Argumentationsgeschick der Prüflinge gut testen. Folgende Fälle zeigen die feinen Abgrenzungsschwierigkeiten: "Landwirt haftet nicht für Verletzung durch Mähmaschine" (BGH, Urt. v. 21.09.2021, Az. VI ZR 726/20), "Haftung auch noch Tage nach dem Unfall" (BGH, Urt. v. 26.03.2019, Az. VI ZR 236/18). 

Im Fall des Traktors samt angehängten Güllefasses und Hochdruckseitenverteilers – eine Art Pumpe zum Verteilen der Gülle -  ist laut LG von einer fahrbaren Arbeitsmaschine auszugehen, die gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet. Deshalb könne ein "Betrieb" im Sinne der Norm bejaht werden. Die Arbeitsmaschine sei auch auf einer öffentlichen Straße bewegt worden und nicht etwa auf einer reinen Nutzfläche. Der Schaden sei auf eine Art "Entladevorgang" zurückzuführen, nämlich das Ausbringen der Gülle über den Verteiler. Der Traktor beeinflusse dabei maßgeblich mit, wohin und mit welcher Intensität das geschieht. Durch den Einsatz des Traktors im Straßenverkehr habe sich damit das Gefahrpotential verwirklicht, das mit dem Ausbringen von Gülle im Straßenverkehr einhergeht. Sprich: Die Gülle hätte auf dem Feld landen sollen, landete aber woanders und richtete dort Schäden an.

Weil schon diese verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage erfüllt ist, ging das Gericht nicht weiter auf eventuell einschlägige verschuldensabhängige Anspruchsgrundlagen ein – also auch nicht auf den Einfluss von Wind und Wetter. 

pdi/LTO-Redaktion

Mit Material von dpa

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LG Kempten zur Haftung nach StVG: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57012 (abgerufen am: 12.06.2025 )

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