In zwei Folgen des NDR-Podcasts "Row Zero" sei rechtswidrig der Verdacht erweckt worden, Lindemann habe Sex mit Frauen ohne deren Zustimmung gehabt. Das entschied das LG Hamburg im Eilverfahren. Weitere Episoden werden gerichtlich geprüft.
Schon vor einigen Wochen musste der Norddeutsche Rundfunk (NDR) seinen Rammstein-Podcast "Row Zero" schon einmal offline nehmen. Grund dafür war ein erfolgreicher Streit um die Urheberrechte an dort abgespielten Rammstein-Songs. Nach einem gerichtlichen Hinweis unterzeichnete der NDR die gewünschte Unterlassungserklärung (LTO berichtete) und stellte den Podcast mit neu geschnittener Musik online.
Doch nun muss der NDR den Podcast erneut anpassen. Diesmal geht es nicht um Urheber-, sondern um Persönlichkeitsrechte. An dem Podcast beanstandet Lindemann, vertreten durch Simon Bergmann (Schertz Bergmann), wie auch in anderen Verfahren etwa gegen den Spiegel, NDR und die Süddeutsche Zeitung, es handele sich um unzulässige Verdachtsberichterstattung. Hinsichtlich der ersten beiden Podcast-Folgen hatte er damit vor dem Landgericht (LG) Hamburg Erfolg. Lindemann stehe aufgrund einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Unterlassungsanspruch zu, entschied die Pressekammer in zwei Beschlüssen (Beschl. v. 24.07.2024, Az. 324 O 307/24; v. 01.08.2024, Az. 324 O 306/24).
Beide Episoden des Podcasts erweckten zu Unrecht den Verdacht, Lindemann habe an Frauen sexuelle Handlungen ohne deren Zustimmung vorgenommen. Um einen solchen Verdacht zulässigerweise zu erwecken, benötigt es einen Mindestbestand an Beweistatsachen. An diesem fehle es hier, so das LG im zweiten Schritt.
“Hörer wird verdeutlicht, dass Cynthia A. mit dem Sex nicht einverstanden war”
Bei der ersten Podcast-Folge beanstandete das Gericht, dass durch mehrere Passagen der Verdacht erweckt worden sei, Lindemann habe mit einer im Podcast als Cynthia A. bezeichneten Frau, die eigentlich anders heißt, nicht einvernehmlichen Sex gehabt. Schon der Einstieg lenke die Hörer des Podcasts. "In dieser Folge geht es um mutmaßliche sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch", heiße es vorab. Und weiter: "Es geht um mutmaßliche Grenzverletzungen.”
Danach beschäftigte sich die Folge schwerpunktmäßig mit den Schilderungen der im Podcast als Cynthia A. bezeichneten Frau. Nach dem Einstieg bekomme der Durchschnittshörer den Eindruck, A.s Fall sei ein Beispiel für "sexuelle Übergriffe" bzw. "Machtmissbrauch”. Im weiteren Verlauf werde durch Einspielung der Stimme von A. beschrieben, wie ihr Körper nicht bereit für Geschlechtsverkehr gewesen sei und dass Lindemann dies “eigentlich hätte bewusst sein müssen von der Art und Weise, wie mein Körper reagiert hat und wie ich auch reagiert habe, dass das gerade nichts ist, was ich möchte oder was ich gut finde”. Ihren eigenen Zustand beschreibt A. als “in Schockstarre” bzw. als "ein Stück Fleisch".
Die Pressekammer zog daraus ein klares Resümee: “Damit wird dem Hörer verdeutlicht, dass Cynthia A. mit dem Sex nicht einverstanden war.” An dieser Bewertung ändere sich auch nichts dadurch, dass A. im Podcast zugleich sage, ihre angebliche innere Ablehnung des Geschlechtsverkehrs weder verbal noch durch körperliche Gegenwehr zum Ausdruck gebracht zu haben. Denn sie mache eben zugleich deutlich, dass sie es für möglich halte, dass Lindemann ihren angeblich entgegenstehenden Willen erkannt habe.
Kein Mindestbestand an Beweistatsachen
Diese Verdachtserweckung ist nach Auffassung des LG rechtswidrig. Auf Grundlage der im Eilverfahren erfolgenden vorläufigen Bewertung der Beweismittel fehle es an dem "Mindestbestand an Beweistatsachen", der für die Verdachtsberichterstattung erforderlich ist.
Der NDR habe im Verfahren nicht vorgetragen, auf welchen Mindestbestand an Beweistatsachen er den Verdacht stütze. Es gab zwar eine eidesstattliche Versicherung von Cynthia A., jedoch stammte diese aus einem anderen Verfahren und wurde laut LG in diesem Verfahren nicht vorgelegt. Zudem ergebe sich aus dieser "nicht hinreichend", "dass und wie [A.s] entgegenstehender innerer Wille, auch körperlich nach außen erkennbar geworden" sei.
Daneben untersagte das LG dem NDR, der von Michael Fricke (CMS Hasche/Sigle) vertreten wird, zwei weitere Nebenaussagen als unwahre Tatsachenbehauptungen.
Weitere Verfahren anhängig
An der zweiten Podcast-Folge beanstandet das LG im Wesentlichen das gleiche. Auch diese erwecke zu Unrecht den Verdacht, dass Lindemann an einer – hier sogar bewusstlosen – Frau gegen ihren Willen sexuelle Handlungen vorgenommen habe. Mitentscheidend waren auch hier die einleitenden Sätze, wonach man im Folgenden "über mutmaßliche sexuelle Übergriffe am Rande von Till Lindemanns Konzerten" berichte. Vor diesem Hintergrund gehe der Durchschnittshörer davon aus, dass der NDR es für möglich halte, dass Lindemann sexuelle Handlungen ohne Zustimmung der Frau vorgenommen habe, wie das LG knapp feststellte.
Mehr Aufwand musste das LG zur Begründung betreiben, warum es wiederum am Mindestbestand an Beweistatsachen fehle. Denn in diesem Fall lag eine eidesstattliche Versicherung der betreffenden Frau vor, die sich mit dem erweckten Verdacht deckte.
Allerdings wog der Verdacht hier – da es sich um eine angebliche Bewusstlosigkeit handelte – so schwer, dass dem Gericht die eidesstattliche Versicherung nicht ausreichte. Es betonte dabei, dass der Mindestbestand an Beweistatsachen von der Schwere des Vorwurfs abhängt. "Im Rahmen der Abwägung des fraglos als hoch einzustufenden Berichterstattungsinteresses mit dem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, dem der schwerwiegende Vorwurf einer sexuellen Handlung ohne Zustimmung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB) gemacht wird, überwiegt [...] das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Dies beruht insbesondere darauf, dass der konkrete Vorwurf [...] allein auf der Schilderung dieser einen Zeugin beruht. In einer solchen Konstellation kommt es entscheidend darauf an, ob weitere Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt des konkreten Verdachts [...] sprechen", zitiert das LG dazu aus einem anderen presserechtlichen Lindemann-Verfahren.
Die beiden Beschlüsse sind noch nicht rechtskräftig. Der NDR kann Widerspruch einlegen, dann findet wiederum vor dem LG Hamburg eine mündliche Verhandlung statt. Danach würden das Hanseatische Oberlandesgericht entscheiden. Mindestens bis zu einem etwaigen Erfolg des NDR dort dürfen die Podcast-Folgen in dieser Form nicht mehr zum Abruf stehen. Auch gegen die weiteren beiden Folgen von "Row Zero" geht Lindemann mit Schertz Bergmann in Hamburg vor. Die Entscheidungen darüber stehen allerdings noch aus.
NDR verliert vor Landgericht Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55183 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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