Die Vorwürfe gegen Till Lindemann ziehen mittlerweile zahlreiche Zivilverfahren nach sich. Der Spiegel lässt sich auch abseits der Berichterstattung auf einen Kampf gegen die Anwaltskanzlei des Rammstein-Sängers ein – und verliert Runde 1.
Anfang Juni ist Rammstein-Sänger Till Lindemann mit der von ihm beauftragten Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann in den Angriffsmodus übergegangen – sowohl gegen die Frauen, die Anschuldigen erheben, als auch gegen die Medien, die hierüber berichten. Und das mit Erfolg: Zuletzt hatte die Pressekammer des Landgerichts (LG) Hamburg SZ und NDR/Tagesschau untersagt, einige der gegen Lindemann erhobenen Vorwürfe zu wiederholen.
Einen solchen Teilerfolg hatte Lindemann mit Schertz Bergmann zuvor an gleicher Stelle auch schon gegen den Spiegel erzielt (im Folgenden: Ausgangsverfahren). Weil sich das Nachrichtenmagazin daran störte, wie die Kanzlei in einer Pressemitteilung über das Ergebnis dieses Prozesses berichtet hatte, holte der Spiegel, vertreten durch Beiten Burkhardt Rechtsanwälte, zur Gegenwehr gegen Schertz Bergmann aus, sodass aktuell ein medienrechtlicher Kleinkrieg vor dem LG Hamburg tobt. Der erste Punch des Spiegel ging nun ins Leere (Beschl. v. 14. August, 324 O 293/23).
Das Ausgangsverfahren: unzulässige Verdachtsberichterstattung durch Spiegel
Im Ausgangsverfahren hatte das LG Hamburg dem Spiegel die Verbreitung des Verdachts untersagt, dass Lindemann mithilfe von K.O.-Tropfen, Drogen oder Alkohol Frauen betäubt hat oder hat betäuben lassen, um es ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vorzunehmen. Nach Auffassung der Hamburger Richter handele es sich um eine mangels Mindestbestands an Beweistatsachen unzulässige Verdachtsberichterstattung.
Eher nebenbei ging es um Aussagen, dass intern bei Rammstein von "Resteficken" und "Schlampenparade" in Bezug auf Frauen gesprochen werde, sowie dass es zwischen Lindemann und einem anderen Bandmitglied Streit darum gegeben habe, wer von den beidem Sex mit einer jungen Frau haben dürfe. Zwar war Lindemann auch insofern erfolgreich, als dem Spiegel untersagt wurde, die betreffenden Passagen weiterhin zu veröffentlichen und zu verbreiten.
Jedoch teilten die Richter in ihrer Beschlussbegründung nicht die Auffassung der Lindemann-Anwälte, es habe sich in diesen Fällen um Tatsachenbehauptungen gehandelt. Aufgrund des Gesamtkontextes sowie dadurch, dass der betroffene Spiegel-Artikel diese Aussagen als solche einer Zeugin in direkter bzw. indirekter Rede auswies, habe der Leser nicht den Eindruck, das Magazin stelle die Vorwürfe es erwiesen dar. Auch hier handele es sich um Verdachtsberichterstattung, die mangels eines Mindesbestandes an Beweistatsachen unzulässig sei.
Die Pressemitteilung von Schertz Bergmann: Spiegel wurden Tatsachenbehauptungen untersagt
Lindemanns Anwälte verbreiteten über den Ausgang des Verfahrens am 17. Juli eine Erklärung im Presseportal.** Die Mitteilung widmet sich im Großteil dem Kernverdacht gegen Lindemann, Frauen mit Rauschmitteln gefügig gemacht zu haben. Mit einem Satz gehen Schertz Bergmann jedoch auch auf die oben geschilderten Äußerungen über "Resteficken", "Schlampenparade" und den mutmaßlichen Bandstreit um Frauen ein.
"Darüber hinaus wurden dem SPIEGEL zwei falsche Tatsachenbehauptungen untersagt", heißt es dazu in der auch über Twitter verbreiteten Presseerklärung.
Genau gegen diese Aussage wandte sich der Spiegel mit der Begründung, dass dem Spiegel nur ein Verdacht und keine Tatsachenbehauptung untersagt worden sei. Es stelle einen bedeutenden Unterschied dar, ob ein Gericht festgestellt habe, dass der Spiegel die Unwahrheit geschrieben habe und somit quasi Fake News verbreitet und schlecht recherchiert habe oder ob das Magazin die betreffenden Punkt selbst als offenen Verdacht beschrieben und dabei nur nach Auffassung des Gerichts nicht alle strengen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung eingehalten habe, heißt es in der Antragsschrift des Spiegel vertreten durch Advant Beiten Rechtsanwälte (Dr. Holger Weimann). Der Spiegel sei damit in seinem Unternehmerpersönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt.
Das Magazin wollte die Veröffentlichung der Passage verbieten lassen und stellte beim LG einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, gestützt auf § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 1004 Abs. 1 BGB analog. Einen solchen Unterlassungsanspruch lehnte die Pressekammer nun aber ab.
LG Hamburg: Presseerklärung mehrdeutig
Die Richter sahen das Unternehmerpersönlichkeitsrecht nicht als verletzt an, denn die Passage in der Presseerklärung sei "mehrdeutig". Nicht alle Leser verstünden sie als unwahre – weil von der eigentlichen Begründung des Beschlusses im Ausgangsverfahren abweichende – Tatsachenbehauptung. Vielmehr könne man die Passage auch als eigene "Beurteilung der gerichtlichen Entscheidung" durch Schertz Bergmann lesen. Schließlich hatten die Anwälte im Ausgangsverfahren auch so argumentiert.
Die Einordnung als "falsche Tatsachenbehauptung" sei zudem ein "Rechtsbegriff, der grundsätzlich wertend verwendet wird", so die Hamburger Richter.
Das heißt also laut LG: Dass die Anwälte in ihrer Darstellung des Ausgangsverfahrens von der Begründung – nicht vom Tenor – des Gerichtsbeschlusses abwichen, geht in Ordnung. Maßgeblich dafür war auch eine Klarstellung von Schertz Bergmann gegenüber dem Spiegel am Tag nach der Presseerklärung. Damit sei jedenfalls die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr nicht gegeben. Mit den sich weiter stellenden Einwänden von Schertz Bergmann (Rechtsanwalt Nicolas Jim Nadolny), etwa ob eine Kanzlei überhaupt als Antragsgegnerin in Anspruch genommen werden darf, wenn sie im Rahmen der rechtlichen Interessenvertretung für einen Mandanten tätig ist oder es sich insoweit um eine privilegierte Äußerung handelt, musste sich das LG nicht mehr beschäftigen.
Der Spiegel hat nun die Möglichkeit, sofortige Beschwerde gegen den Beschluss einzulegen.**
Derweil gehen abseits dieses Kleinkriegs die Rechtsstreitigkeiten um die Lindemann-Berichterstattung weiter. Gegen die einstweilige Verfügung hat der Spiegel Widerspruch eingelegt. Am Freitag der kommenden Woche geht es vor dem LG Hamburg in die nächste Runde.
* Der Artikel wurde am 18.08.23 um die Namen der beteiligten Rechtsanwälte ergänzt.
** Nachdem die in diesem Rechtsstreit gegenständliche Presseerklärung bei Veröffentlichung des Artikels zunächst noch abrufbar war, hat die Kanzlei Schertz Bergmann diese nun offline gestellt. Auch über den Twitter-Account der Kanzlei ist sie nicht mehr abrufbar. Hintergrund ist, dass das Verfahren auf die sofortige Beschwerde des Spiegel fortgeführt wird. (25.08.23, 7:58 Uhr, Red.)
Streit um Verdachtsberichterstattung geht weiter: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52506 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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