Axel Springer muss 110.000 Euro Entschädigung zahlen: Ein "Sex-Mob­bing", das es so nie gab

18.06.2019

Die Bild-Zeitung hat in einer vierteiligen Artikelserie mit Titeln wie "Sex-Mobbing" und "Suff-Exzesse" einen Vorgesetzen zu Unrecht beschuldigt und wurde deswegen vom LG Frankfurt zu einer Entschädigungszahlung verurteilt.

Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat den Axel-Springer-Verlag wegen einer Artikelserie in der Bild-Zeitung über einen leitenden Angestellten der hessischen Stadtverwaltung in vier separaten Verfahren verurteilt. Dem Verlag wurde untersagt, eine Vielzahl von Textpassagen und Bildern weiter zu veröffentlichen und außerdem auferlegt, dem Betroffenem eine Entschädigung in Höhe von 110.000 Euro zu zahlen. Die Bild habe mit ihren Artikeln "in schwerwiegender Art und Weise gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung" und die ihnen "obliegenden journalistischen Sorgfaltspflichten verstoßen", so das Gericht (Urt. v. 16.05.2019, Az. 2-03 O 184/17 u. a.). Das Online-Portal Bildblog hat zunächst darüber berichtet.

Ausgangspunkt war eine vierteilige Artikelreihe über einen leitenden Mitarbeiter der hessischen Stadtverwaltung. In aufeinanderfolgenden Ausgaben stellte die Bild den Mann im Frankfurter Regionalteil als "schlimmste(n) Vorgesetzte(n) Deutschlands" dar.

Den Start machte ein Artikel mit dem Titel "Sex-Mobbing", wonach der Führungskraft unter anderem vorgeworfen wurde, durch den Flur gebrüllt zu haben, dass seine Mitarbeiterinnen "blöde Fotzen und Schlampen" beziehungsweise "dreckige Nutten" seien, die ihm mal "einen blasen" sollten.

"Suff-Exzesse" sowie "Nazi- und Ekel-Vorwürfe"

Einen Tag später folgte der nächste Beitrag, der mit "Suff-Exzesse im Rathaus" überschrieben war. Demzufolge habe der Mann im Büro bereits vormittags Portwein getrunken und sei gegen 15 Uhr "nur noch schwankend über den Flur" getreten. Offenbar habe er sich "alkoholbedingt nicht mehr unter Kontrolle" gehabt, bisweilen sei er so betrunken gewesen, "dass er gestützt und sogar mindestens einmal getragen werden musste".

In dem dritten Teil musste sich der städtische Mitarbeiter "Nazi-Vorwürfe" gefallen lassen. Er soll gegenüber einer ehemaligen Mitarbeiterin von "Scheiß-Integrationskindern" gesprochen und gesagt haben, früher seien "Mongos im KZ vergast worden". Eine kleinwüchsige Mitarbeiterin soll er als "Mongo" betitelt und der ehemaligen Mitarbeiterin gesagt haben, sie solle ihr Kind doch in ein Heim geben oder "es an die Zigeuner verkaufen".

Der letzte Artikel der Serie trug die Überschrift "Ekel-Vorwürfe". Darin berichtete die Bild, dass der Mann permanent von "Blasen", "Lecken", "ihm gehe gleich einer ab" und davon gesprochen habe, dass er bei einem anstehenden Swinger-Wochenende, "die ganze Zeit vögeln würde". Einer Kollegin soll er ins Gesicht gerülpst und sodann gefragt haben, ob sie wisse, was er gegessen habe.

"Mobbingtagebuch" als Grundlage

Das LG Frankfurt bewertete die Äußerungen überwiegend als Tatsachenbehauptungen, die insofern dem Beweis zugänglich seien. Weil es sich um ehrverletzende Darstellungen handele, müsse die Bild beweisen, dass ihre Behauptungen auch der Wahrheit entsprächen. Das konnte die Zeitung in den Prozessen allerdings nicht.

Grundlage für die Berichterstattung war lediglich ein "Mobbingtagebuch" einer ehemaligen Mitarbeiterin der Stadtverwaltung. Diese hatte die hessische Gemeinde auf Schadensersatz verklagt, weil sie von dem leitenden Mitarbeiter sexuell belästigt und gemobbt worden sei. Zum Beleg legte sie im Arbeitsgerichtsprozess das selbst so bezeichnete Tagebuch vor.

Die Mitarbeiterin selbst, aus deren Tagebuch die meisten Passagen stammten, stufte die Kammer allerdings als unglaubwürdig ein. Die Angaben der Zeugin seien in einer Vielzahl von Punkten durch mehrere Zeugen glaubhaft widerlegt worden, heißt in dem Urteil.

Bild fragte nicht einmal bei Zeugin nach

Und auch bei den Äußerungen, deren Unwahrheit ebenso wenig festgestellt werden konnte wie ihre Wahrheit, konnte sich der Axel Springer Verlag nicht auf ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung berufen. Dafür hätten die Redakteure nämlich sorgfältig recherchieren müssen, so das Gericht. Ihr Beitrag sei allerdings vorverurteilend gewesen und habe den Betroffenen nicht einmal zu Wort kommen lassen.

Die Kammer bemängelte, dass die Vorwürfe nur auf einer einzigen Quelle beruhten, nämlich auf der Aussage der ehemaligen Mitarbeiterin, die diese Vorwürfe in dem Arbeitsgerichtsprozess eingeführt hatte. Die Bild habe dabei Passagen aus dem Tagebuch einfach übernommen, ohne die Zeugin zu befragen. Auch sei in der Berichterstattung nicht deutlich geworden, dass es sich lediglich um einen Verdacht handele, weswegen die Beiträge vorverurteilend seien.

Die Journalisten hätten dem Mann auch keine Möglichkeit gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Zwar hätten sie vergeblich versucht, den städtischen Mitarbeiter auf der Dienststelle telefonisch zu erreichen. Im Hinblick auf die Schwere der Vorwürfe sei dies aber nicht ausreichend gewesen, so das LG. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil ein besonderer Aktualitätsdruck nicht erkennbar gewesen sei. Zudem wäre es bei der Vielzahl derart gravierender Vorwürfe erforderlich gewesen , dem Mann Gelegenheit zu geben, schriftlich Stellung zu nehmen. In den Prozessen hatten die Springer-Anwälte noch argumentiert, dass das Schweigen des Mannes ein gewichtiges Indiz dafür sei, dass die Vorwürfe zutreffend seien.

Das LG Frankfurt hat dem städtischen Mitarbeiter auch eine Geldentschädigung in Höhe von insgesamt 110.000 Euro zugesprochen. Ausschlagend dafür sei der enorm schwerwiegende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gewesen, entschied die Kammer. Die Bild habe in schwerwiegender Art und Weise gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung und die journalistischen Sorgfaltspflichten verstoßen.

mgö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Axel Springer muss 110.000 Euro Entschädigung zahlen: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35963 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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