Vor fast einem Jahr wurde in Chemnitz ein Deutscher erstochen, die Tat ist Auslöser für Übergriffe und Demonstrationen. Nun muss der Mann für neuneinhalb Jahre hinter Gitter. Die Verteidigung will es aber nicht dabei belassen.
Knapp ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen in Chemnitz ist ein 24 Jahre alter Angeklagter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das Landgericht (LG) Chemnitz sprach den Syrer am Donnerstag in Dresden schuldig des gemeinschaftlichen Totschlags in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung (Urt. v. 22.08.2019, Az. 1 Ks 210 Js 27835/18). Nach 19 Verhandlungstagen war die Kammer davon überzeugt, dass Alaa S. am 26. August 2018 in Chemnitz gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker den 35-jährigen Daniel H. erstochen hat. Der mutmaßliche Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben.
Der nun verurteilte Syrer hatte in der gesamten Verhandlung zu den Vorwürfen gegen ihn geschwiegen. In einem am Dienstag ausgestrahlten Telefoninterview des ZDF-Magazins Frontal21 hatte er zwar seine Unschuld beteuert - diese Aussagen hatten nach Gerichtsangaben aber keinen Einfluss auf die Urteilsfindung. Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung durch die Kammer gewonnenen Erkenntnisse entscheidend, hieß es.
In seinem letzten Wort sprach sich der Angeklagte am Donnerstag für ein faires Urteil aus. "Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird und ein gerechtes Urteil gesprochen wird", ließ der Syrer durch einen Dolmetscher übersetzen.
Verteidigung befürchtete Beeinflussung
Die Verteidigung hatte kurz vor dem Urteil auf Freispruch plädiert. Verteidiger Frank Wilhelm Drücke rückte in seinem Plädoyer die Geschehnisse nach der Tat in den Blickpunkt. "Für uns ist das mitnichten ein normales Verfahren", sagte er in einem Gebäude des Oberlandesgerichtes Dresden, wo der Prozess aus Sicherheitsgründen stattfand. Er appellierte an die Kammer des Landgerichts, sich bei der Urteilsfindung nicht von Forderungen aus Politik, Gesellschaft oder von einem "marodierenden Mob" beeinflussen zu lassen.
Die Befürchtung, dass das Gericht nicht neutral entscheiden würde, trieb die Verteidigung schon von Beginn des Prozesses an um. Ein Verteidiger stellte einen Antrag, die Untersuchung und Entscheidung einem Landgericht außerhalb der Bundesländer Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu übertragen. Angesichts des Gefahrenpotentials könne in Sachsen nicht unbeeindruckt und angstfrei geurteilt werden, so die Begründung. Der Bundesgerichtshof wies den Antrag aber ab.
Ein anderer Antrag der Verteidigung, dass die Berufsrichter und Schöffen einen Fragenkatalog zu ihrer politischen Einstellung beantworten sollten, wurde ebenfalls abgelehnt. Anwältin Ricarda Lang hatte unter anderem wissen wollen, ob die Richter Mitglieder oder Unterstützer der AfD oder der islamfeindlichen Pegida-Bewegung sind und wie sie zu Flüchtlingen insgesamt stehen.
Anwältin will Rechtsmittel einlegen
Die Staatsanwaltschaft hatte am Montag in ihrem Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren für den Angeklagten wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Die drei Vertreter der Nebenklage gingen am Donnerstag in ihren Plädoyers über diesen Antrag hinaus und forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren. Ob es bei dem Urteilsspruch des LG bleibt, ist aber unklar. Verteidigerin Lang erklärte kurz nach der Urteilsbegründung, dass die Verteidigung Rechtsmittel einlegen werde.
In der Folge der Messerattacke war es im vergangenen Jahr in der Stadt zu rassistisch motivierten Übergriffen gekommen, die mehr als das Verbrechen selbst auch auf internationaler Ebene ein Schlaglicht auf Chemnitz warfen. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt.
Der Streit um die Frage, ob es "Hetzjagden" gegeben habe, wurde auf Bundesebene zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD - und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten verlor. Im November 2018 versetzte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dann in den einstweiligen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanuskript von teils "linksradikalen Kräften in der SPD" gesprochen hatte.
dpa/acr/LTO-Redaktion
**Update, 08.05.2020, 14:00 Uhr**
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Veurteilung des Mannes bestätigt (Beschl. v. 14.04.2020, Az. 5 StR 14/20). Sie ist damit rechtskräftig.
Tödlicher Messerangriff in Chemnitz: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37205 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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