Bei dem Prozess vor dem LG Verden in Celle wird es nicht um linksterroristische Taten der RAF gehen, sondern eine Raubserie. Ein Überfall und Schüsse auf einem Supermarktparkplatz in Stuhr werden im Fokus stehen. Und Klette will reden.
Nach ihrer spektakulären Festnahme 2024 muss sich Daniela Klette ab Dienstag vor Gericht verantworten. Die heute 66-Jährige soll seit 1975 Mitglied der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF) gewesen sein und soll auch als Mitglied mehrere Taten verübt haben. Darum wird es vor dem Landgericht (LG) Verden nun aber nicht gehen.
Im mit Spannung erwarteten Strafprozess (Az. 1 Ks 112/24) geht es vielmehr darum, ob die Angeklagte sich wegen Raubes in 13 Fällen strafbar gemacht hat – und zwar nach ihrer Zeit in der RAF. Die Anklage umfasst mehr als 600 Seiten. Für den ersten Prozesstag ist lediglich die Verlesung des Anklagesatzes geplant. Laut ihrem Verteidiger Lukas Theune wird auch Klette selbst eine Erklärung abgeben, sie will sich selbst verteidigen. Die mutmaßlich ehemalige RAF-Unterstützerin blicke dem Verfahren "kämpferisch" entgegen, so Theune. Sie wird daneben von der ebenfalls Berliner Strafverteidigerin Undine Weyers sowie dem Strafverteidiger Ulrich von Klinggräff vertreten.
Verhandelt wird zwar vor dem LG Verden, der Prozess findet aber im Gebäude des Oberlandesgerichts (OLG) Celle statt. Dort nicht in irgendeinem Saal, sondern im Staatsschutzsaal des OLG. Die Sicherheitsvorkehrungen im LG Verden reichen nämlich nicht aus. Allerdings ist die Verlegung des Verfahrens in die Räumlichkeiten des LG für Ende Mai vorgesehen. Dann soll ein den Sicherheitsanforderungen genügender Saal zur Verfügung stehen. Zum Prozessauftakt werden zahlreiche Interessierte und Unterstützer erwartet, dabei hat der Hochsicherheitssaal in Celle gerade einmal zehn Plätze für die Öffentlichkeit.
Nach Schüssen auf Geldtransporter vom Mordversuch zurückgetreten?
Die Anklage wirft Klette vor, gemeinsam mit den mutmaßlichen Beteiligten und ehemaligen RAF-Mitgliedern Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg Supermärkte und Geldtransporter überfallen zu haben. Die drei sollen sich als Bande zusammengeschlossen und ihre Opfer mit Schusswaffen und Elektroschockern bedroht haben. Klette soll dabei meistens das Fluchtauto gefahren sein.
Außerdem soll es 2015 zu Schüssen auf die Insassen eines Geldtransporters auf einem Supermarktparkplatz in Stuhr bei Bremen gekommen sein. Klette soll an einem Samstagmittag, dem 6. Juni 2015, mit Garweg und Staub plötzlich aus einem eigenen Transporter gesprungen sein. Dabei soll Klette, so sieht es die Staatsanwaltschaft, eine nicht funktionsfähige Panzerfaust des Typs RPG 7 und eine Maschinenpistole dabeigehabt haben. Staub und Garweg sollen die beiden Mitarbeiter im Geldtransporter zum Aussteigen aufgefordert haben, während Klette sich mit der Attrappe der Panzerfaust an dem Geldtransporter aufgestellt haben soll. Einer der Insassen des Geldtransporters soll signalisiert haben, dass er die Tür nicht mehr öffnen könne. Ein Sicherheitsmechanismus soll sie automatisch verschlossen haben. Ein erster Schuss ging in den Vorderreifen. Die Anklage geht davon aus, dass im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans des Trios dann Garweg sein Schnellfeuergewehr angelegt und aus einer Distanz von ca. 65 Zentimetern in die gepanzerte Scheibe der Beifahrertür geschossen hat. Laut Staatsanwaltschaft, soll er dabei davon ausgegangen sein, dass der Mitarbeiter durch den Schuss getötet werden könnte. Der Geldtransporter blieb verschlossen, Klette soll laut Gerichtsdokumenten den Daumen nach unten gehalten haben. Das Trio gab auf und flüchtete.
Die Staatsanwaltschaft Verden wirft Klette deshalb auch versuchten Mord vor. Es ist der schwerwiegendste Vorwurf. Und es dürfte der sein, der strafrechtlich am anspruchsvollsten für die 1. Große Strafkammer des LG Verden wird. Sie verhandelt als Schwurgericht, also mit hauptamtlichen Richtern und Schöffen.
Dass dieser Vorwurf zum strafrechtlichen Knackpunkt werden könnte, hat sich bereits vor dem Prozessauftakt abgezeichnet. Denn in einem Haftprüfungsverfahren hat das zuständige OLG Celle Mitte Dezember 2024 entschieden, dass kein dringender und nur ein hinreichender Tatverdacht des versuchten Mordes bestehe. Der Beschluss liegt LTO vor. Damit sieht das OLG den Fall anders als die Staatsanwaltschaft und das für den Haftbefehl zuständige Amtsgericht Verden. Zwar geht auch das OLG von einem Tötungsvorsatz und dem Mordmerkmal Habgier aus, hält aber für möglich, dass Klette strafbefreiend zurückgetreten ist. Liegt hier der Ansatzpunkt für die Verteidigung?
Konnte Klette noch freiwillig zurücktreten?
Es geht um die Frage, ob der Versuch mit der Schussabgabe auf den Geldtransporter fehlgeschlagen ist. Denn nach der Logik des Strafrechts gilt: Ist eine Straftat im Versuchsstadium fehlgeschlagen, dann bleibt auch kein Raum mehr für einen freiwilligen Rücktritt. Den will das Strafrecht nur für denjenigen privilegieren, der sich rechtzeitig besinnt und aufgibt. Und damit letztendlich Schlimmeres verhindert.
Das OLG sah für einen fehlgeschlagenen Versuch weder dringende noch hinreichende Anhaltspunkte. Es betrachtet den Raubvorgang und die Schüsse streng getrennt, und zwar auch für jeden Mittäter und jede Mittäterin gesondert. Zwar sei der Versuch, an das Geld zu kommen fehlgeschlagen, ein Mord sei immer noch möglich gewesen. Für seine Bewertung bezieht sich das OLG auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Im Ergebnis hält das OLG einen strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch für Klette für nicht ausgeschlossen.
Zweifel hat das OLG aber an der Freiwilligkeit des Rücktritts. Hatte sich die Lage auf dem Supermarktplatz so zugespitzt, dass das Entdeckungsrisiko für die drei sich signifikant erhöht hatte? Denn wer sich quasi notgedrungen zum Rücktritt gezwungen sieht, der kann nicht mehr freiwillig, also aus eigenen Stücken, zurücktreten. Gegen ein erhöhtes Entdeckungsrisiko könnte sprechen, dass die Täter ohnehin am hellichten Tage auf einem belebten Supermarktplatz zugeschlagen haben sollen. Das OLG geht aber davon aus, dass das Trio in den rund vier Minuten des Überfalls und mit den insgesamt drei abgefeuerten Schüsse viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die OLG-Richter schließen aber damit, dass das Weitere noch der näheren Aufklärung bedürfe.
Jahrelang in Deutschland untergetaucht
Das ehemalige RAF-Mitglied Klette war 1989 in den Untergrund abgetaucht. Sie, Staub und Garweg gehörten davor der sogenannten dritten Generation der RAF an. Die Organisation wurde 1968 von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof gegründet und verübte bis zu ihrer Auflösung 1998 Attentate in Deutschland. Die Gruppe lehnte sich gegen bestehende Gesellschaftsstrukturen und die kapitalistische Ordnung auf. Von den mutmaßlichen 34 Morden ist bis heute kaum einer aufgeklärt.
Das Trio Klette, Staub, Garweg soll von 1999 bis 2016 bei ihren Überällen insgesamt 2,7 Millionen Euro erbeutet haben. So hat sich die Beschuldigte laut Anklage ihr Leben im Untergrund finanziert.
Klette konnte sich bis 2024 versteckt halten. Zuletzt lebte sie in Berlin-Kreuzberg. Als Tarnung nutzte sie Alias-Namen wie Claudia Bernadi und Claudia Schmidt Oliviera. Als "Sarah" soll sie 2014 eine Wohnung in Bremen und als "Lucia" 2016 eine in Hildesheim angemietet haben.
Waffen, Gold und 240.000 Euro Bargeld in der Wohnung
Das Landeskriminalamt Niedersachsen konnte die bei den Überfällen gefundenen DNA-Spuren auf Klette und ihre Mitstreiter zurückführen. Ende 2023 ist laut LKA ein entscheidender Hinweis aus der Bevölkerung eingegangen. Im Anschluss wurde nach der Beschuldigten gefahndet, sie wurde beobachtet und am 26. Februar 2024 in Berlin-Kreuzberg festgenommen.
In ihrer Wohnung wurden neben einem Sturmgewehr, einer Maschinenpistole und der Attrappe einer Handgranate auch Handschellen, Sturmhauben, ein Kilo Gold und 240.000 Euro in bar gefunden.
Die Beschuldigte soll noch während ihrer Festnahme ihren mutmaßlichen Komplizen Garweg gewarnt haben. Daraufhin konnte dieser sich verstecken. Auch Garweg soll in Berlin gelebt haben, unter dem Decknamen "Martin" in einem Bauwagen in Friedrichshain. Bisher wurden weder Garweg noch Staub gefunden.
Bundesanwaltschaft führt weitere Verfahren wegen RAF-Zeit
Nach ihrer Festnahme saß Klette bis zum Prozessbeginn im Frauengefängnis in Vechta, zunächst von anderen Gefangenen abgesondert. Dass andere RAF-Mitglieder sie dort nicht besuchen durften, hatte der BGH entschieden. Die Gefahr von Fluchtabsprachen sei zu hoch.
Das Besuchsverbot kritisierte ihr Verteidiger Theune als "nicht mehr hinnehmbare Isolation". Ehemalige RAF-Mitglieder sahen das ähnlich. Karl-Heinz Dellwo wurde in Berichten dahingehend zitiert, dass die RAF "beendet" sei, was eine Befreiung von Klette sinnlos mache.
Neben dem jetzigen Prozess drohen Klette aber auch Verfahren wegen der RAF-Anschläge. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr für den Zeitraum 1990 bis 1993 versuchten Mord in zwei Fällen und vollendete Sprengstoffexplosion in Mittäterschaft vor. Es geht um Angriffe auf ein damaliges Technikzentrum der Deutschen Bank, die US-Botschaft in Bad Godesberg und die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt. Einen Prozess wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung muss sie jedoch nicht fürchten: Das sieht die Bundesanwaltschaft als verjährt an.
Hinweis: Aktualisierte Fassung (24.03.2025, 19:14 Uhr, mk)
Prozess gegen Ex-RAF-Mitglied beginnt: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56845 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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