In Deutschland können Väter nach der Geburt Elternzeit nehmen, aber nicht den von der EU vorgesehenen "Vaterschaftsurlaub". Laut LG hat Deutschland die Richtlinie aber hinreichend umgesetzt – es weist eine Klage auf Schadensersatz ab.
Einem Vater steht kein Schadensersatz zu, weil er nach der Geburt seines Kindes Urlaub nehmen musste und keinen "Vaterschaftsurlaub" nehmen konnte. Seiner Ansicht nach wird dieser nämlich seitens der Europäischen Union vorgeschrieben, Deutschland habe ihn aber in den bestehenden Regelungen zur Elternzeit nicht umgesetzt. Das sieht das Landgericht (LG) Berlin II anders und weist die Klage ab (Urt. v. 01.04.2025, Az. 26 O 133/24). Prozessvertreter Prof. Dr. Remo Klinger teilt gegenüber LTO mit, bereits Berufung eingelegt zu haben.
Der Vater hatte einen zweiwöchigen Erholungsurlaub nach der Geburt seines Kindes genommen. Er ist aber der Ansicht, dass ihm eigentlich ein zweiwöchiger "Vaterschaftsurlaub" - von vielen bevorzugt Familienstartzeit genannt - zugestanden hätte. Dieser sieht nach der EU-Richtlinie 2019/1158/EU (Vereinbarkeitsrichtlinie) eine zehntägige vergütete Freistellung für den Vater oder den zweiten Elternteil nach der Geburt des Kindes vor. Die Vergütung muss mindestens der Höhe des Krankengeldes entsprechen.
Deutschland hatte diesen Teil aus der Richtlinie nicht umgesetzt, aber andere Regelungen zur Elternzeit getroffen. Der klagende Vater ist der Meinung, dass das nicht ausreicht und klagte wegen der fehlenden Umsetzung auf Schadensersatz. Auch die EU-Kommission hat diesbezüglich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Klinger: "Urteil inkonsistent"
Das LG Berlin II ist jedoch nun der Meinung, dass die Umsetzung seitens Deutschlands ausreichend war. Die Vereinbarkeitsrichtlinie sehe in Art. 20 Abs. 6 vor, dass bereits bestehende Regelungen zu Elternurlaub etc. bei der Frage der Umsetzung berücksichtigt werden könnten. Etwa könne nach Art. 20 Abs. 7 eine nationale Regelung berücksichtigt werden, nach der bei mindestens sechs Monaten Elternurlaub für jedes Elternteil eine Bezahlung in Höhe von mindestens 65 Prozent des Nettoeinkommens gewährt wird. In Deutschland sei das der Fall. Väter könnten laut LG nach jetziger Rechtslage, wenn sich die Eltern nicht einvernehmlich auf die Aufteilung der grundsätzlich 12 Monate Elterngeld einigen können, für bis zu sieben Monate Elterngeld beziehen und auch für zwei Wochen Elternzeit beantragen. Das regelt laut Urteil § 5 Abs. 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG). Dieser regelt die Aufteilung des Elterngeldes, wenn sich beide Elternteile nicht auf eine einvernehmliche Lösung einigen können. § 5 Abs. 2 BEEG stellt laut Urteil sicher, dass jeder Elternteil seinerseits bis zur Hälfte der den Eltern gemeinsam zustehenden Monate Elterngeld beziehen kann. Der Vater kann also erreichen, dass ihm sieben Monate Elterngeld zustehen, so das Gericht. "Ein spezieller zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub nach der Geburt mit Anspruch auf Bezahlung sei daher zur Erfüllung der Umsetzungspflicht nicht erforderlich", so die Pressemitteilung.*
Der klagende Vater wurde vertreten von Rechtsanwältin Sandra Runge von der Kanzlei Runge aus Berlin und Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger von Geulen & Klinger aus Berlin. "Das Urteil des Landgerichts ist inkonsistent. Einerseits stellt es richtigerweise fest, dass nach der Richtlinie ein vergüteter Vaterschaftsurlaub zu gewähren ist", so Klinger gegenüber LTO. "Andererseits stellt es ebenfalls richtigerweise fest, dass es diesen in Deutschland nicht gibt, Väter können zwar in Elternzeit gehen, bekommen Elterngeld aber nur, wenn sie mindestens zwei Monate in Elternzeit gehen. Für Väter, die aus beruflichen Gründen nur zwei Wochen nach der Geburt zu Hause bleiben können, gibt es keine vergütete Elternzeit", so Klinger weiter. Diesen Widerspruch habe das Landgericht nicht aufgelöst und Klinger daher Berufung eingelegt.
Rechtsanwältin Sandra Runge ergänzt, dass noch in der mündlichen Verhandlung der Richter die Auffassung vertreten habe, dass die Nichtumsetzung der Familienstartzeit europarechtswidrig sei. "Die Änderung dieser Rechtsauffassung ist für uns auch nach genauerer Betrachtung des Urteils nicht nachvollziehbar, da die aktuellen Gesetze zu Elterngeld und Elternzeit nicht den Anforderungen der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie genügen" so Runge zu LTO. Zudem stelle sich die Frage, was in Bezug auf die Eltern gelten soll, die von vorneherein keinen Anspruch auf Elterngeld haben, weil sie mit ihrem zu versteuernden Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze liegen.
Eigentlich wollte die vormalige Ampel-Koalition laut ihrem Koalitionsvertrag die zweiwöchige vergütete Freistellung einführen, dazu kam es aber nicht.
* Absatz nachträglich wegen einer laut Pressestelle des LG missverständlichen und ungenauen Formulierung in der Pressemitteilung des Gerichts geändert. Stattdessen ist hier nun zusätzlich eine Urteilspassage zitiert, die das LG nachträglich an LTO versendet hat.
pdi/LTO-Redaktion
LG Berlin II sieht EU-Recht umgesetzt: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56917 (abgerufen am: 29.04.2025 )
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