Umstrittene Entscheidung zu Verbalattacken gegen Künast: Anwälte zeigen LG-Richter wegen Rechts­beu­gung an

27.09.2019

Vergangene Woche entschied das LG Berlin, dass sich die Grünen-Politikerin Renate Künast derbe Verbalattacken gefallen lassen müsse. Eine Kanzlei hat nun Strafanzeige gegen die Berliner Richter erstattet. Der Vorwurf: Rechtsbeugung.

Wie viel Hass müssen Politiker sich in sozialen Netzwerken gefallen lassen? Nach Ansicht des Landgerichts (LG) Berlin jedenfalls so einiges: Die Berliner Richter entschieden in der vergangenen Woche, dass insgesamt 22 Facebook-Kommentare, die sich gegen die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast richteten, "keine Diffamierungen der Person" und "damit keine Beleidigungen" darstellten

Der Beschluss wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert und stieß bei Laien wie Juristen auf massives Unverständnis.  Unter anderem, weil das Gericht entschied, dass es sich bei Äußerungen wie "altes grünes Dreckschwein", "Drecks Fotze", "Sondermüll" oder "Pädophilen-Trulla" um zulässige Meinungsäußerungen handele. So heißt es zum Beispiel in dem Beschluss: "Die Äußerung 'Wurde diese "Dame" vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. …' stellt wiederum eine polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik dar. Denn wie sich aus dem nachfolgenden Satz ergibt, geht es um eine auf die Äußerung der Antragstellerin bezogene Kritik."

Wenig Verständnis haben dafür auch die Anwälte der Kanzlei Bernard Korn & Partner aus der Rhein-Main-Region. Die Kanzlei gab auf ihrem Internetauftritt am Montag bekannt: "Wir haben heute Strafanzeige gegen die Richter erstattet, welche die Entscheidung zu verantworten haben, nach welcher die Politikerin Renate Künast Beschimpfungen, auch solche der übelsten, sexistischen Sorte, hinzunehmen hätte."

"Offenkundig völlig verquere Auslegung"

Die Anwälte werfen den Berliner Richtern vor, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Reichweite der Meinungsfreiheit zwar zitiert, aber nicht angewendet zu haben. Besonderen Anstoß nehmen sie an der "offenkundig völlig verqueren" Auslegung der Entscheidung des LG Hamburgs zum Fall Alice Weidel. Das Hamburger Gericht entschied 2017, dass die Bezeichnung der AfD-Politikern im NDR-Satiremagazin extra 3 als "Nazi-Schlampe" vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Dazu heißt es in dem Berliner Beschluss: "Soweit die Antragstellerin geltend macht, es liege mit 'Stück Scheisse' und 'Geisteskranke' eine Formalbeleidigung vor, steht dem entgegen, dass wie sich aus dem zweiten Satz ergibt eine Auseinandersetzung in der Sache erfolgte, so dass eine Formalbeleidigung ausscheidet (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017 - 324 O 217/17)."

Nach Ansicht der Anwälte von Bernard Korn & Partner weist die Satiresendung evident einen engen Sachzusammenhang auf. "Die Überspitzung stellt sich in jenem Fall klar ersichtlich als Kritik an der Äußerung der dortigen Antragstellerin dar und nur deshalb kann die Formalbeleidigung in diesem spezifischen Kontext als Stilmittel bewertet werden", so die Kanzlei auf ihrer Webseite. Im Berliner Verfahren sei es dagegen um private Äußerungen bei Facebook gegangen, die weit überwiegend keine Auseinandersetzung mit der Sache darstellten, sondern schlicht Formalbeleidigungen seien. Formalbeleidigungen würden, so heißt es in der Mitteilung, nicht zu einer zulässigen Meinungsäußerung, indem man diese mit Kritik an einem Verhalten oder Äußerung verbindet.

Schließlich geben die Anwälte noch ein Beispiel, was der Berliner Beschluss aus ihrer Sicht für Konsequenzen nach sich ziehe. So könnte man sich gegenüber einem Polizisten, dessen Handlung man für falsch hält, straffrei mit den Worten "Du Stück Scheiße hast hier nichts in meiner Wohnung zu suchen" äußern. "Faktisch wäre der Straftatbestand der Beleidigung damit abgeschafft, da ein Sachzusammenhang immer gefunden werden kann".

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Umstrittene Entscheidung zu Verbalattacken gegen Künast: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37887 (abgerufen am: 16.10.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen