LG Berlin erneut zum Berliner "Ku'damm-Raser": 13 Jahre Haft, nun wegen ver­suchten Mordes

von Alexander Cremer und Pia Lorenz

02.03.2021

Ein 69-Jähriger wird mitten in Berlin in seinem Jeep gerammt und stirbt. Zwei Männer waren in ihren Autos über den Ku'damm gerast. Es war ein illegales Rennen, das seit Jahren die Justiz beschäftigt. Nun gibt es ein weiteres Urteil.

Mehr als fünf Jahre nach einem tödlichen Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm ist ein Raser zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt worden. Der Mann wurde in dem neu aufgelegten Prozess am Landgericht (LG) Berlin wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung schuldig gesprochen (Urt. v. 02.03.2021, Az. 529 Ks 6/20). Damit entschied das Gericht anders als in zwei früheren Urteilen gegen den 29-Jährigen. In diesen war er noch wegen Mordes verurteilt worden.

Ein zweiter Ku'damm-Raser ist inzwischen rechtskräftig wegen Mordes verurteilt. Die beiden Männer waren am 1. Februar 2016 Ermittlungen zufolge mit bis zu 170 Kilometer pro Stunde mit ihren Wagen über den Kurfürstendamm in der City-West gerast, als sie sich ein Rennen lieferten. Der rechtskräftig verurteilte Fahrer rammte schließlich den Jeep eines Unbeteiligten, der bei für ihn grüner Ampel auf die Kreuzung gerollt war. Der Rentner starb in seinem Wagen, der rund 70 Meter weit durch die Luft geschleudert worden war. Die Raser, die sich nur flüchtig kannten, wurden kaum verletzt. Das Auto des 29-Jährigen, der am Dienstag vom LG Berlin erneut verurteilt wurde, war nicht unmittelbar an der tödlichen Kollision mit dem Jeep beteiligt. 

Im Februar 2017 verhängte das LG gegen beide Männer lebenslange Haftstrafen wegen Mordes in Mittäterschaft. Der BGH kassierte aber das Urteil. Der 4. Strafsenat monierte, nach den Urteilsfeststellungen hätten die Angeklagten die Möglichkeit eines für einen anderen Verkehrsteilnehmer tödlichen Ausgangs ihres Rennens erst erkannt und billigend in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Angeklagten jedoch keine Möglichkeit mehr gehabt, den Unfall zu verhindern. Daher sei das zu dem tödlichen Unfall führende Geschehen zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbar in Gang gesetzt gewesen, bevor die für die Annahme eines Tötungsvorsatzes erforderliche Vorstellung bei den Angeklagten hätte entstehen können (sog. dolus subsequens). Schon das stehe einer Einstufung als vorsätzliches Tötungsdelikt entgegen.

Keine mittäterschaftliche Zurechnung

In der Neuverhandlung in Berlin, die im ersten Anlauf gescheitert war, wurden beide Angeklagten im März 2019 erneut des Mordes schuldig gesprochen. Das LG Berlin ging sehr wohl von vorsätzlichem Handeln aus. Dann ging der Fall wieder vor den BGH. Der bestätigte aber nur für einen der Angeklagten die Verurteilung wegen Mordes, nämlich den Fahrers des Wagens, der mit dem Jeep des Opfers kollidierte. Die* Senatsvorsitzende bejahte die Wertung, dass ein Raser ein Mörder sein kann, betonte aber auch den Einzelfallcharakter des Falles. Im Fall des 29-Jährigen, dessen Wagen gerade nicht mit dem Jeep kollidiert war, sah der BGH eine Mittäterschaft allerdings als nicht belegt an und verwies den Fall erneut zurück nach Berlin.

Dort erklärte der Vorsitzende Richter der 29. Großen Schwurgerichtskammer am Dienstag, dem 29-Jährigen sei "keine täterschaftliche Mitverantwortung für den Tod anzulasten". Einen diesbezüglichen gemeinsamen Tatplan habe es nicht gegeben und ein solcher könne nach den Ausführungen des BGH zu dem Fall auch nicht konstruiert werden, entschied das LG. Weil es aber lediglich vom Zufall abhängig gewesen sei, dass nicht er, sondern der bereits verurteilte Fahrer mit dem Jeep zusammengestoßen sei, sei der 29-Jährige eines versuchten Mordes schuldig. 

Er habe ebenso wie der andere Fahrer gewusst, "dass mögliche Folge seines rücksichtslosen Fahrverhaltens der Tod unbeteiligter Verkehrsteilnehmer sein könnte", hieß es in einer Mitteilung des Gerichts. Diese mögliche Folge habe er um seines Zieles willen – nämlich den Sieg in der Wettfahrt – billigend in Kauf genommen. Es seien dabei auch die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe erfüllt. Gegenüber seiner Beifahrerin habe der 29-Jährige allerdings keinen bedingten Tötungsvorsatz gehabt. Der Schuldspruch lautet deshalb hier fahrlässige Körperverletzung. Das Gericht verhängte zudem eine fünfjährige Führerscheinsperre gegen den Angeklagten.

Verteidiger kündigt Revision an

Der 29-Jährige sei kurz vor der Kollision etwas vom Gas gegangen, hieß es weiter im Urteil. Dann habe er jedoch wieder beschleunigt. "Er ist bewusst das Risiko eingegangen, um an dieser entscheidenden Stelle das Rennen nicht zu verlieren." Er habe durch die extrem hohe Geschwindigkeit eine "eklatant hohe Gefahr" geschaffen. Mit mehr als dem Zweieinhalbfachen des auf der Strecke zugelassenen Tempos sei er unterwegs gewesen. Er habe das Rennen gewinnen wollen – "um das eigene Ansehen zu steigern und sich selber besser zu fühlen". Dafür habe der Angeklagte in Kauf genommen, dass ein Mensch stirbt.

Strafmildernd werteten die Richter teilgeständige Angaben des 29-Jährigen, der seit rund fünf Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Zudem habe dieser im Prozess um Entschuldigung gebeten. Mit dem Urteil folgten die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger hatten auf vier Jahre Haft wegen versuchter Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr plädiert.

Ein Verteidiger kündigte bereits Revision an. Dann müsste sich erneut der Bundesgerichtshof mit dem Fall befassen.

mit Materialien der dpa

Anm. d. Red. zunächst hieß es hier unzutreffend "der", korrigiert am 03.03.2021, 09.29 Uhr

Zitiervorschlag

LG Berlin erneut zum Berliner "Ku'damm-Raser": . In: Legal Tribune Online, 02.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44402 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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