Weil er mit der Gender-Leitlinie des Tochterkonzerns Audi behelligt wurde, klagte ein VW-Mitarbeiter auf Unterlassung. Er muss es aber dulden, dass Mitarbeitende auch als Mitarbeiter_innen bezeichnet werden, so das LG Ingolstadt.
Das Landgericht (LG) Ingolstadt hat die Klage eines Mitarbeiters gegen einen Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache bei der Audi AG abgewiesen (Az. 83 O 1394/21). Der Ingolstädter Autohersteller verlangt von seinen Beschäftigten, dass sie in der schriftlichen Kommunikation bestimmte Genderformen verwenden. Ein VW-Mitarbeiter wollte das nicht akzeptieren und zog vergeblich vor Gericht.
Der Autobauer hatte die Unternehmensrichtlinie zu Gendersprache im vergangenen Jahr erlassen. In Anspielung auf einen bekannten Werbeslogan von Audi heißt der Leitfaden "Vorsprung beginnt im Kopf". Das Unternehmen begründete die Sprachvorgaben im März 2021 damit, dass dies ein Zeichen für Gleichberechtigung sei und die Vielfalt der Geschlechter besser abbilde. "Audi möchte gendersensible Formulierungen von nun an in der internen und externen schriftlichen Audi Kommunikation allgegenwärtig machen", hieß es.
Gütliche Einigung scheiterte
Der Mitarbeiter der Konzernmutter VW, der mit Audi-Kollegen zusammenarbeiten muss, hatte sich daran gestört, dass die Audi-Beschäftigten in der Kommunikation mit ihm wegen des Leitfadens Gender-Formen mit Unterstrich ("Mitarbeiter_innen") nutzen - den sogenannten Gender-Gap.
"Unserer Ansicht nach besteht das Problem schon darin, dass er die Gender-Formen lesen muss. Es geht allein darum, dass ihm Schreiben in dieser Form vorgelegt werden. Bereits dadurch ist er in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.", sagt Dirk Giesen, Anwalt des Klägers, zu LTO.
In der mündlichen Verhandlung im Juni war eine gütliche Einigung zwischen den Parteien gescheitert. Die Anwält:innen der Audi AG lehnten es ab, die Genderformen aus allen E-Mails an den VW-Prozessmanager und den dazugehörigen Anhängen zu entfernen. Dies sei nicht praktikabel, meinten sie.
Der Kläger sagte während des Verfahrens, er wünsche sich unabhängig von dem juristischen Verfahren, dass es eine Diskussion über die richtigen Genderformen gebe. Die bei Audi verwendeten Gendervorgaben lehne er ab, weil diese zu neuer Ungerechtigkeit führten. "Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein." Außerdem betonte er, dass Gendersprache auch lesbar sein müsse.
Kein Recht darauf "in Ruhe gelassen zu werden"
Wie die Zivilkammer am Freitag entschied, gibt es keinen Unterlassungsanspruch des Mitarbeiters. Der Vorsitzende Richter Christoph Hellerbrand betonte, dass der VW-Mitarbeiter nicht zur aktiven Nutzung des Leitfadens verpflichtet sei, weil dieser sich nur an Audi-Beschäftigte richte. Auch die passive Betroffenheit reichte dem Gericht nicht aus. Es gebe für ihn kein Recht, "in Ruhe gelassen zu werden", sagte Hellerbrand.
Das Gericht sah letztlich weder einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Mannes. Die Richter:innen prüften dies unter den Aspekten der geschlechtlichen Identität und der sprachlichen Integrität.
"Im Grunde genommen begrüßen wir das Urteil des Landgerichts. Es ist zwar eingetreten, was wir befürchtet haben, nämlich dass in der eigentlichen Sache keine Entscheidung getroffen wurde und dennoch hat das Urteil auch eine für unseren Mandanten positive Seite" so Giesen. "Dass keine Entscheidung getroffen wurde, liegt daran, dass unser Mandant Angestellter bei VW und nicht bei Audi ist. Positiv ist die Entscheidung für uns insofern, dass er sich nun darauf berufen kann, den Leitfaden nicht befolgen zu müssen. Das zumindest hat ein deutsches Gericht jetzt festgestellt."
Gendern als "Ideologie"
Unterstützt wurde die Klage gegen Audi von dem unter Expert:innen umstrittenen Verein Deutsche Sprache, der das Gendern generell ablehnt und von einer "Ideologie" spricht. Andere Organisationen der Sprachpflege sehen eine Notwendigkeit des Genderns, appellieren aber an die Einhaltung der grammatikalischen Regeln.
So sieht die Gesellschaft für deutsche Sprache eine Doppelnennung ("Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter") positiv, den Unterstrich im Wort oder das Gendersternchen ("Mitarbeiter*innen") hingegen problematisch. Auch der VW-Mitarbeiter betonte, dass er nicht gegen das Gendern sei, wenn die Regeln der Grammatik nicht verletzt würden.
Der Prozess hatte bundesweit Beachtung gefunden, weil es auch in anderen Unternehmen Vorgaben zur Nutzung von gendersensibler Sprache gibt. Der Kläger kündigte an, das Urteil nun mit seinen Anwälten prüfen zu wollen. "Dass es weitere Schritte gibt, schließe ich explizit nicht aus", sagte er zu möglichen Rechtsmitteln. Falls er Berufung einlegt, müsste sich das Oberlandesgericht München nochmals mit dem Fall befassen.
dpa/ku/LTO-Redaktion
Den Kläger vertreten haben Rechtsanwalt Dirk Giesen und Rechtsanwalt Burkhard Benecken.
LG Ingolstadt zu Audi-Gender-Leitfaden: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49187 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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