Andreas Scheuer will Aktivisten "einfach" wegsperren: Hallo Ex-Ver­kehrs­mi­nister!

Kommentar von Dr. Markus Sehl

25.11.2022

Auf Twitter fordert Andreas Scheuer, "Klima-Kriminelle" wegzusperren. Sein krawalliger Tweet hat einen beunruhigenden Kern: Die immer wieder aufgewärmte Umdeutung des "Rechtsstaats" in Law-and-Order-Politik. Dagegen braucht es Vergewisserung.

Das letzte Mal, dass Andreas Scheuer als Meme im Internet viral gegangen ist, liegt schon eine Weile zurück. Immerhin endete die Amtszeit des Ex-Verkehrsministers, dem viele unter anderem wegen des Maut-Debakels keine besonders glückliche Amtszeit bescheinigen, Ende 2021. Am Freitag meldete sich der CSU-Bundestagsabgeordnete mit einer Steilvorlage zurück, die nicht nur die Jura-Bubble zu Reaktionen zwischen Entsetzen und Resignation herausforderte. Scheuer twitterte: "Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg! Die Täter müssen Konsequenzen spüren."

Dass sein Tweet vor allem aus Krawall besteht, wird dem ehemaligen Bundesminister im besten Fall klar sein. In Deutschland können Ministerinnen und Minister zum Glück niemanden "wegsperren" lassen, das ist Sache der Polizei und Staatsanwaltschaft in den Ländern, die sich dabei an Gesetze und richterliche Entscheidungen halten müssen. Richterinnen und Richter, die sich hoffentlich als letztes von politischen Aufforderungen bei ihrer Arbeit beeindrucken lassen.

Von "Rechtsstaat" sprechen, aber das Gegenteil meinen

Der Tweet enthält einen beunruhigenden Kern. Er reiht sich ein in eine immer wieder aufgewärmte Umdeutung des Rechtsstaats in sein Gegenteil. Und zwar nicht nur von ordnungspolitischen Stimmen der Union, sondern quer durch die politischen Lager. Die von Scheuer angerufene SPD-Innenministerin Nancy Faeser betont: "Dann muss der Rechtsstaat auch mit aller Härte durchgreifen" (im Zusammenhang mit Corona-Protesten), "mit aller Härte des Rechtsstaats vorgehen" (gegen Extremisten), "verfolgen das mit der Härte des Rechtsstaates" (Fake-Entführungsvideos). Aber auch die heutige Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock forderte 2018, dass der Rechtsstaat "konsequent durchgreifen" müsse (gegen ausreisepflichtige Mehrfachtäter). Auch Journalistinnen und Journalisten greifen beherzt zu beim Rechtsstaatsbingo; mit Vorliebe, wenn es ums Strafen geht.

Der "Rechtsstaat" klingt politisch verlockend. Wer ihn aufruft, will davon profitieren, dass der Begriff unpolitisch klingt, wie eine Bestandsaufname, ein Best-of der rechtlichen Instrumente. Er klingt auch unverdächtig, weil offenbar nur eingesetzt werden soll (wenn auch "mit aller Härte"), was Recht und gerecht ist. 

Rechtsstaat heißt Gesetzesbindung 

Dabei wird unterschlagen, was eigentlich mit Rechtsstaat gemeint ist: Die Bindung staatlicher Gewalt an Gesetze und Recht. Mit dem Gewaltmonopol ausgestattete Akteure, wie Polizeikräfte, dürfen nur nach rechtlichen Voraussetzungen tätig werden, ihr Handeln ist dabei gerichtlich kontrollierbar, so sollen die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger vor staatlichen Verletzungen geschützt werden. Mit Law-and-Order-Politik hat das erst einmal nichts zu tun, der Rechtsstaat begrenzt ihren Einsatz. Verschmelzen aber die Forderungen nach härteren Strafen oder dem rigorosen Durchsetzen von Staatsgewalt mit dem Rechtsstaatsbegriff, dann geht ein elementares Machtkorrektiv der Verfassung verloren. Wo einfach "weggesperrt" werden soll, wird die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative abgeräumt.

Dass es dabei am Ende nicht um semantische Diskussionen geht, haben in der Vergangenheit Einzelfälle gezeigt, in denen rechtsstaatliche Sicherungen und Bindungen aufgekündigt wurden, wenn in NRW 2018 der als Gefährder eingestufte Sami A. schon mal abgeschoben wurde, obwohl noch ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht lief, wenn im gleichen Jahr in Bayern die Politik eine gerichtliche Entscheidung zu den Dieselfahrverboten in München ignorierte und wenn in Wetzlar die Stadt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vermietung ihrer Stadthalle an die NPD nicht umsetzte.

Das Beste, was der Twitter-Trend "Hallo Justizminister" auslösen kann, ist eine Diskussion in Justiz, Anwaltschaft und Rechtswissenschaft. Offenbar ist es mal wieder an der Zeit, sich darüber zu vergewissern, was den "Rechtsstaat" ausmacht und warum seine Umdeutung gefährlich ist.

Zitiervorschlag

Andreas Scheuer will Aktivisten "einfach" wegsperren: Hallo Ex-Verkehrsminister! . In: Legal Tribune Online, 25.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50295/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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