Kommende Woche wollen die Koalitionsfraktionen von Union und SPD den Knoten in der quälenden Diskussion über eine Wahlrechtsreform durchschlagen. Da dürfte Kanzlerin Merkel noch viel Arbeit haben.
Eine Woche vor einem Koalitionsausschuss zur Reform des Wahlrechts gegen einen weiter aufgeblähten Bundestag sind die Fronten zwischen Union und SPD festgefahren. Während die Unionsfraktion am Dienstag erneut auf eine rasche Lösung pochte, warf die SPD dem großen Koalitionspartner vor, willkürlich und verfassungswidrig einzelne Wahlkreise streichen zu wollen. Grüne und FDP verlangten von den Koalitionsfraktionen, die Hängepartie bei der Wahlrechtsreform zu beenden. Der schwarz-rote Koalitionsausschuss will am 25. August nach einem Kompromiss suchen.
Der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), sagte in Berlin, gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl dränge die Zeit. "Unser Ziel ist, jetzt zu einer Entscheidung zu kommen". Das Zeitfenster für eine Lösung schließe sich, da grundlegende Änderungen am Wahlrecht nicht später als etwa ein Jahr vor dem Wahltermin im Herbst 2021 vorgenommen werden sollten.
Unklar blieb allerdings, wie ein Kompromiss aussehen könnte, da beide Seiten auf ihren Konzepten beharren. Die Unionsfraktion hatte sich auf ein Modell geeinigt, das schon für die kommende Bundestagswahl im Herbst 2021 die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 vorsieht. Zudem soll es eine teilweise Verrechnung von Überhangmandaten einer Partei mit Listenmandaten dieser Partei geben sowie einen Nichtausgleich von bis zu sieben Überhangmandaten. Lange Zeit hatte sich vor allem CSU dagegen gesperrt, die Wahlkreise zu verringern.
SPD wirft Union Verfassungsbruch vor
Mehrere stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion riefen die SPD zum Kompromiss auf. Thorsten Frei (CDU) hielt dem Koalitionspartner vor, entgegen aller Beteuerungen "auch angesichts der aktuellen rot-rot-grünen Planspiele leider überhaupt kein ernsthaftes Interesse zu haben, den Bundestag zu verkleinern". Andreas Jung (CDU) forderte, die Reform müsse im September auf den Weg gebracht werden. "Noch ist es nicht zu spät, aber vertagen geht nicht mehr."
Die SPD wies den Vorwurf zurück, kein ernsthaftes Interesse an einer Wahlrechtsreform zu haben. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Süddeutschen Zeitung (Mittwoch), die SPD wolle "eine Neuregelung für die nächste Wahl erreichen". Die SPD habe bereits Anfang März ein Brückenmodell vorgestellt und dazu einen Gesetzentwurf erarbeitet. Die Union plane dagegen, "willkürlich einzelne Wahlkreise zu streichen - ein solches politisches Manöver ist verfassungswidrig".
Nach Unions-Berechnungen hätte der Bundestag nach ihrem Modell beim Ergebnis der Bundestagswahl 2017 statt jetzt 709 nur 642 Sitze. Von einer Reduzierung der Wahlkreise nach dem Unionsmodell wäre demnach Nordrhein-Westfalen mit 4 Wahlkreisen betroffen, Niedersachsen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg mit je zwei Wahlkreisen und Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland mit je einem Wahlkreis.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, verlangte in der Saarbrücker Zeitung (Mittwoch), es müsse "endlich Schluss sein mit der Hängepartie in Sachen Wahlrecht". Sie forderte Union und SPD auf, "mit uns eine Verständigung auf der Grundlage des personalisierten Verhältniswahlrechts zu erzielen". Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, erklärte, die Fraktionen von FDP, Linken und Grünen seien früh mit einem Gesetzentwurf in Vorleistung getreten. "Die große Koalition sollte nun eine Lösung mit der Opposition finden und sich vor einer Hauruck-Aktion hüten", teilte Buschmann mit.
Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag seit der Wahl 2017 so groß wie nie zuvor. Befürchtet wird, dass er im kommenden Jahr auf mehr als 800 Mandate wachsen könnte, wenn das Wahlrecht nicht geändert wird.
acr/dpa/LTO-Redaktion
Debatte über zu großen Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42532 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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