Seit Dienstag ist der mutmaßliche Täter des Attentats auf Charlie Kirk angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe, während Kirk von religiösen Stimmen zum Märtyrer erhoben wird. Was es zum Verfahren zu wissen gibt, erfahren Sie hier.
Viel sagte Tyler Robinson wie erwartet nicht. Nach dem tödlichen Schuss auf den rechten US-Aktivisten Charlie Kirk erschien der mutmaßliche Täter am Dienstag erstmals vor Gericht - und schwieg, abgesehen von der Nennung seines Namens. Die kurze Vorladung erfolgte per Videoschalte und wurde – in den USA keineswegs unüblich – live von zahlreichen Fernsehsendern übertragen.
Auch nicht untypisch ist die frühe Anklage nach nur etwa sechs Tagen Ermittlungstätigkeit, erläutert Dr. Philippe Matthew Roy, ehemaliger Anwalt in New York und Lehrbeauftrager für US-amerkanisches Recht an der Universität Köln auf LTO-Anfrage. Denn der Termin am Dienstag stelle noch nicht die finale Anklage dar, sondern lediglich die Verfahrenseröffnung. Diese dient insbesondere dazu, dem Angeklagten den konkreten Tatvorwurf zu eröffnen, das angestrebte Strafmaß zu verkünden und dem Angeklagten bestimmte Verfahrensrechte zu ermöglichen. So wird beispielsweise in diesem ersten Termin darüber entschieden, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen ist, erläutert Dr. Roy den Verfahrensablauf.
Das bedeutet auch: Das Ermittlungsverfahren ist noch lange nicht abgeschlossen und läuft bis zum Hauptverfahren noch weiter. Auch das ist aus deutscher Juristensicht ungewöhnlich.
Staatsanwaltschaft fordert Todesstrafe
Am 29. September 2025 ist der nächste Termin im Verfahren gegen Robinson. Darin soll der bis dahin benannte Verteidiger die Gelegenheit haben, sich zu den Anklagepunkten zu äußern, und es wird üblicherweise über die weitere Untersuchungshaft entschieden. Bekennt sich der Angeklagte im Rahmen dieses Termins nicht als schuldig, muss laut Vorgaben des amerikanischen Strafprozessrechts ein erster Verhandlungstermin innerhalb von 30 Tagen anberaumt werden. Erst wenn entweder der Richter oder – wie in diesem Fall wahrscheinlich – die große Jury darüber entschieden hat, ob die Beweismittel mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ("probable cause") die Täterschaft des Angeklagten nachweisen können, wird das eigentliche Hauptverfahren eröffnet.
Der 22-Jährige sitzt im Bundesstaat Utah in Haft, wo sich die Tat am vergangenen Mittwoch ereignet hatte. Richter Tony Graf informierte ihn am Dienstag über seine Rechte und erklärte, er werde ohne Möglichkeit auf Kautionszahlung in Haft bleiben. Anschließend verlas Graf die sieben Anklagepunkte, die der zuständige Staatsanwalt Jeff Gray schon kurz zuvor bei einer Pressekonferenz vorgestellt hatte.
Neben Mord werden Robinson unter anderem Behinderung der Justiz, Zeugenbeeinflussung und eine Gewalttat in Anwesenheit von Kindern zur Last gelegt. Der erste Anklagepunkt meint "aggravated murder", also "Mord in besonders schwerem Fall". Es komme zum eigentlichen Mord erschwerend hinzu, dass Robinson aus politischen Motiven Kirk als Opfer ausgewählt habe, so die Anklageschrift. Der Staatsanwalt verwies außerdem auf etliche Beweise, die Robinson belasteten - darunter Textnachrichten, DNA-Spuren an der mutmaßlichen Tatwaffe sowie Auswertungen von Überwachungsvideos.
"Ich hatte die Chance, Charlie Kirk auszuschalten, und ich werde sie nutzen"
Im Falle einer Verurteilung wegen Mordes drohen Robinson die Todesstrafe, lebenslängliche Haftstrafe ohne Bewährung oder mindestens 25 Jahre Haftstrafe. Dem Verfahren in Utah könnte eine Anklage auf Bundesebene folgen.
"Ich hatte die Chance, Charlie Kirk auszuschalten, und ich werde sie nutzen." Diese Notiz soll Robinson laut Behörden unter seiner Tastatur hinterlassen haben. Entdeckt wurde sie demnach von der Person, mit der Robinson zusammenlebte und eine Liebesbeziehung führte.
Robinsons Mutter erklärte Richter Graf zufolge, bei der Person handle es sich um eine trans Person, also jemanden, der sich nicht mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifiziert. Der Staatsanwalt ging auf das Thema aber nicht näher ein und sagte lediglich, der Person sei bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeschrieben worden. Auf die Nachfrage eines Reporters des konservativen US-Senders Fox News, ob Transgender-Themen bei der Tat eine Rolle gespielt hätten, gab Gray keine weiteren Details preis.
Nach dem Fund der Notiz kam es den Ermittlern zufolge zu einem schriftlichen Austausch, in dem Robinson die Tat gegenüber der Person einräumte, mit der er zusammenlebte. In der Anklageschrift geht der Chatverlauf zwischen Robinson und seinem "Mitbewohner" hervor. Der mutmaßliche Täter schildert darin, wie er die Tat etwa eine Woche zuvor geplant hatte. Auf die Frage, warum er getan habe, was er getan hat, erklärte er, "er habe genug von diesem Hass".
Aus dem weiteren Gesprächsverlauf geht hervor, dass die Tatwaffe seinem Großvater gehörte. Nach dem Schuss habe er die Waffe eingewickelt in ein Handtuch in einem Gebüsch zurücklassen müssen, wo er sich auch umgezogen habe. Er bat zudem darum, belastende Nachrichten zu löschen und gegenüber Polizei und Medien zu schweigen. "Ich hatte gehofft, dieses Geheimnis bis zu meinem Tod im hohen Alter für mich behalten zu können", soll Robinson geschrieben haben.
Patrone trug die Gravur "Hey Faschist! Fang!"
Gray erklärte weiter, Robinsons Mutter habe nach der Tat Fotos des mutmaßlichen Schützen in den Nachrichten gesehen und ihrem Ehemann gesagt, er sehe ihrem Sohn ähnlich. Dieser hat sich ihr zufolge im vergangenen Jahr zunehmend politisch engagiert und verstärkt für die Rechte von Homosexuellen und trans Personen eingesetzt – Ansichten, die offenbar im Gegensatz zu denen seines Vaters standen.
Der Vater sei seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump zum eingefleischten Anhänger der "Make America Great Again"-Bewegung (MAGA) geworden, soll Robinson in einer Textnachricht geschrieben haben. Seinem Vater gegenüber habe er auch angedeutet, der Schütze gewesen zu sein. Seine Eltern und ein Freund der Familie hätten ihn schließlich überzeugt, sich der Polizei zu stellen, heißt es in der Anklageschrift.
Die bei der Tat verwendeten Patronen sollen dabei Gravuren enthalten haben. "Hey Faschist! Fang!" oder "O Bella ciao, Bella ciao, Bella ciao, Ciao, ciao!" sei unter anderem auf den Hülsen zu lesen gewesen.
Am vergangenen Mittwoch war bei einer Veranstaltung auf dem Campus einer Universität in Utah auf Kirk geschossen worden. Auf Online-Videos war der Schuss zu hören und zu sehen, wie der 31-Jährige getroffen wurde. Die vornehmlich jungen Besucher warfen sich zu Boden, schrien, rannten weg. Kirk starb wenig später im Krankenhaus.
Politisch motivierte Gewalttaten in den USA häufen sich
Kirks Tod entfaltet in den USA enorme politische Sprengkraft. Er hatte 2012 die Jugendorganisation "Turning Point USA" gegründet, die heute an zahlreichen Schulen und Hochschulen aktiv ist, und wurde zu einer prägenden Stimme der US-Rechten. Über seine Plattformen erreichte er ein Millionenpublikum, vor allem junge Männer. Kirk profilierte sich als Verfechter der Meinungsfreiheit und als lautstarker Gegner einer von ihm so bezeichneten "woken Ideologie". Immer wieder sorgte er mit provokanten Thesen für Schlagzeilen, die Kritiker als rassistisch und sexistisch verurteilten.
Das Attentat reiht sich ein in eine Serie politisch motivierter Gewalttaten in den USA. Vor wenigen Monaten wurden im Bundesstaat Minnesota eine demokratische Politikerin und ihr Ehemann erschossen. Auch auf Trump war im vergangenen Jahr bei einem Wahlkampfauftritt geschossen worden. Behörden und Experten warnen schon lange vor einer zunehmenden Radikalisierung in Teilen der US-Gesellschaft.
Die Trump-Regierung stellt politisch motivierte Gewalt fast ausschließlich als Phänomen der "radikalen Linken" dar und weist zurück, dass sie ein Problem beider Lager sei. Zwar gibt es in der republikanischen Partei auch beschwichtigende Stimmen. Doch Trump und sein engstes Umfeld nutzen die enorme Reichweite von Kirks Plattformen seit seinem Tod nicht nur für die Würdigung des Aktivisten, sondern auch gezielt, um politische Botschaften zu platzieren.
Die Witwe von Kirk beantragte in dem Verfahren eine gerichtliche Schutzverfügung, was mit einer Gewaltschutzanordnung zu vergleichen ist. Der Richter kam ihren Antrag nach, dennoch sei dieser Antrag als symbolischer Akt zu werten, bewertet Roy gegenüber LTO dieses Vorgehen. Denn eine gerichtliche Schutzverfügung verbietet es dem Angeklagten, auf jede Art und Weise Kontakt zu der Witwe aufzunehmen – was aus der andauernden Untersuchungshaft ohnehin so gut wie unmöglich sei.
mit Material der dpa
Mutmaßlicher Kirk-Attentäter vor Gericht: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58167 (abgerufen am: 15.11.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag