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50105

Kammergericht gibt Künast Recht: Doch noch voller Erfolg gegen Hass-Kom­men­tare

von Annelie Kaufmann

08.11.2022

Die Person spricht zu Medienvertretern und thematisiert rechtliche Erfolge gegen Hasskommentare.

Renate Künast (hier am Rande einer Bundestagssitzung im April 2022) hat sich erfolgreich gegen Hass-Kommentare gewehrt. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Sebastian Gabsch

Nach jahrelangem Rechtsstreit hat die Grünen-Politikerin Renate Künast vor dem Kammergericht in Berlin gewonnen: Die hasserfüllten Reaktionen auf einen Facebook-Post waren nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

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Die Grünen-Politikerin Renate Künast kann nun gegen zehn weitere Facebook-Posts vorgehen, in denen sie heftig beschimpft wurde – unter anderem als "Pädophilen-Trulla" und "Gehirn amputiert" und mit den Worten "Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck". Nach einem jahrelangen Rechtsstreit kam das Kammergericht zu dem Schluss, dass auch diese Äußerungen eine Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) darstellen – Facebook muss jetzt die Daten der postenden Nutzer und Nutzerinnen herausgeben (Beschl. v. 31.10.2022, Az. 10 W 13/20).

Für Künast, die Organisation HateAid, die das Verfahren unterstützt, und für Künasts Anwalt Dr. Severin Riemenschneider, ist das ein wichtiger Erfolg: "Als im Jahr 2019 schlimmste Beleidigungen wie 'Stück Scheisse' als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft wurden, wagte an diesen Ausgang niemand zu denken", so Riemenschneider.

Scharfe Kritik am Kammergericht aus Karlsruhe

2019 hatte zunächst das Landgericht (LG) Berlin sogar eine Äußerung wie "Drecks Fotze" im Ergebnis durchgehen lassen. Die Kommentare waren Reaktionen auf einen Facebook-Post des bekannten Rechtsextremisten Sven Liebich, mit einem Künast unzutreffend zugeschriebene Zitat, demzufolge sie nichts gegen Sex mit Kindern einwende, wenn keine Gewalt im Spiel sei. Hintergrund war ein Artikel der Zeitung Die Welt aus dem Jahr 2015, in dem es unter anderem um eine Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus von 1986 ging, in der ein Teil des Zitates in einem anderen Kontext gefallen war. Die Kommentare hätten einen Sachbezug und seien damit von der Meinungsfreiheit gedeckt, argumentierte das LG – was damals bereits auf breite Empörung stieß.

Künast ging dagegen vor und erreichte in kleinen Schritten immer wieder einzelne Erfolge: Zunächst ruderte das LG zurück und erklärte in einem Abhilfebeschluss zumindest "Drecks Fotze" und einige andere Äußerungen zu einer Formalbeleidigung. Später stufte das Kammergericht weitere sechs Kommentare als Beleidigung ein. Erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekam Künast nun – erneut vor dem Kammergericht – vollumfänglich Recht. Das BVerfG hatte im Februar 2022 mit scharfen Worten kritisiert, dass das KG keine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der Meinungsfreiheit einerseits und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts Künasts andererseits vorgenommen habe.

Das KG betont nun in seinem Beschluss, der LTO vorliegt, nach der Entscheidung des BVerfG sei klar, "dass das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit umso höher ist, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht".

Kammergericht verlangt "Vosicht und Mäßigung" von Facebook-Nutzern

Das KG geht davon aus, Nutzerinnen und Nutzer hätten erkennen können, dass es sich um ein Falschzitat gehandelt habe – zumindest hätten sie das wissen können, wenn sie sich mit den Hintergründen des Ausgangsposts näher befasst hätten. Es handele sich bei den Kommentaren "um die Reaktion auf ein Fehlzitat, welches bei sorgfältiger Berücksichtigung des Hintergrundes und des Kontextes als interessengesteuerter Vergeltungsschlag des Verfassers identifizierbar gewesen wäre", so das KG.

Weiter heißt es in dem Beschluss allerdings: "Beziehen sich aber sämtliche noch verfahrensgegenständliche Äußerungen mit der hier geschehenen, stark ehrenrührigen und polemischen Aufladung zum Nachteil der Antragstellerin auf eine Aussage, die die Antragstellerin überhaupt nicht kundgetan hat, sind diese Kommentare schon aus objektiver Sicht nicht geeignet, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten." Dem Recht auf Meinungsfreiheit de Nutzerinnen und Nutzer komme deshalb weniger Gewicht zu.

Schließlich sei auch allgemein bekannt, dass Falschmeldungen im Internet "gezielt zu Desinformationszwecken oder zur Stimmungsmache gegen Meinungen oder Personen eingesetzt werden", so das KG weiter. Die Nutzerinnen und Nutzer hätten auch deshalb "Vorsicht und Mäßigung" walten lassen müssen und könnten nicht ohne Weiteres davon ausgehen, sich auf ihre Meinungsfreiheit berufen zu können.

In der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin Künast sei zudem zu berücksichtigen, dass ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Politikerinnen und Politikern bei der Verbreitung von Informationen über das Internet im öffentlichen Interesse liegt, da nur dann eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft erwartet werden könne.

Künast: "Erstmal Luft holen"

Das wertete Künasts Anwalt Riemenschneider als Erfolg: "Besonders erfreulich ist, dass inzwischen klar ist: Amtsträger und Politiker müssen einen besonderen Schutz erfahren. Das Kammergericht gestattet es den Tätern außerdem nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass sie lediglich auf das verfälschte Zitat vertraut hätten."

Künast sagte in einer Pressemitteilung der Organisation HateAid: "Ich muss jetzt erst mal tief Luft holen, um mich nach dem langen Kampf freuen zu können. Aber nach der Entscheidung des Landgerichts 2019 schließt sich nun ein Kreis. Wer sich in der Demokratie engagiert, ist nicht Freiwild derer, die die Demokratie systematisch zerstören wollen. Gerade in diesen Zeiten ein wichtiges Zeichen."

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Kammergericht gibt Künast Recht: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50105 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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