Die Grünen-Politikerin Renate Künast war mit ihrer Beschwerde gegen die "Drecks Fotze"-Entscheidung des LG Berlin teilweise erfolgreich. Das KG stufte nun sechs weitere Kommentare als Beleidigung ein. Facebook darf nun Nutzerdaten herausgeben.
Im Streit um beleidigende Facebook-Kommentare hat die Grünen-Politikerin Renate Künast einen weiteren Teilerfolg erzielt. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat das Kammergericht (KG) in Berlin den als "Drecks Fotze-Entscheidung" bekanntgewordenen Beschluss des Landgerichts (LG) Berlin teilweise zu Gunsten der Politikerin korrigiert und weitere sechs der insgesamt 22 streitgegenständlichen Nutzerkommentare als Beleidigung im Sinne von § 185 Strafgesetzbuch (StGB) eingestuft.
Facebook dürfe, so die Berliner Richter, somit auch in diesen weiteren sechs Fällen über Name, E-Mail-Adresse und IP-Adresse der betreffenden Nutzer sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen. Im Übrigen bestätigte das KG die Entscheidung der Vorinstanz und wies die weitergehende Beschwerde der Politikerin zurück (Beschl. v. 11.03.2020, Az. 10 W 13/20).
Im vergangenen September hatte das LG Berlin bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, als es entschied, dass auf Facebook gepostete Äußerungen wie "Stück Scheisse", "Drecks Fotze" oder "Sondermüll", die sich gegen Künast richteten, "keine Diffamierung der Person" und "damit keine Beleidigungen" seien. Das Gericht hatte in dem Beschluss außerdem befunden, dass Künast als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen müsse.
KG: Kommentare sprechen Künast jede Würde ab
Später ruderte das LG dann aber doch zurück und änderten die Entscheidung teilweise ab. Im Januar kam es so zu dem Ergebnis, dass einige der Äußerungen, die es zunächst durchgehen ließ, doch Formalbeleidigungen seien, da sie lediglich die Person herabsetzen sollten und keinen Sachbezug enthielten. Kommentare wie "Schlamper" und "Ferck du Drecksau" hätten eben doch einen ehrherabsetzenden Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers als gezielter Angriff auf die Ehre der Antragstellerin verstanden werden müsse, da ihr einziger Sinn und Zweck sei, Künast herabzusetzen, so das LG.
Nach Ansicht des KG weisen nun sechs weitere Äußerungen einen massiven diffamierenden Gehalt auf. Verbale Entgleisungen wie "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird" und "Pfui, du altes grünes Dreckschwein..." können laut KG auch unter Berücksichtigung des thematischen Kontextes nur "als außerhalb einer Sachdebatte stehende Schmähungen der Person der Politikerin" eingeordnet werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik fehle insoweit.
Zudem werde Künast als vermeintliche Befürworterin einer Entkriminalisierung von "einvernehmlichen bzw. gewaltlosen" Sex mit Kindern jede Würde angesprochen. Sie werde im Schutze der Anonymität des Internets zum Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht, befanden die Berliner Richter. "Hierdurch und durch zügellose Beschimpfungen mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache wird die Antragstellerin in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund steht und eine sachbezogene Auseinandersetzung völlig aus dem Blickfeld geraten ist", so das KG.
Zehn Kommentare Überschreiten Schwelle zur Beleidigung nicht
Bei zehn weiteren Kommentaren sei die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung jedoch nicht überschritten. Kommentare wie "Kranke Frau" und "Gehirn Amputiert" seien kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung. Die mit solchen Kommentaren einhergehende Verletzung des Persönlichkeitsrecht erreiche auch nicht ein solches Gewicht, dass man unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontextes von einer rein persönlichen Herabsetzung und Schmähung der Person ausgehen könne.
Hintergrund des Rechtsstreits ist ein Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen. Ihr war damals unterstellt worden, sich hinter Forderungen nach Straffreiheit für Sex mit Kindern zu stellen. Dies hatte sie zurückgewiesen.
Zum Anlass für die streitgegenständlichen Kommentare auf Facebook war dann ein Artikel auf Welt.de unter der Überschrift "Grünen-Politikerin Künast gerät in Erklärungsnot" aus 2015 geworden. "Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?", fragt der Autor in dem Artikel. Ein Facebook-Post hatte sodann diese Aussage mit einem Foto von Künast und einer ihr in den Mund gelegten Aussage zur Zulässigkeit von Sex mit Kindern verwendet: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt". Die Kommentare, um die es vor dem LG und KG nun ging, sind allesamt Reaktionen auf diesen Post.
Senat erkennt Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses
Das KG betont in seiner Entscheidung, die LTO vorliegt, unter anderem, dass der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch nach § 14 Abs. 4 des Telemediengesetzes (TMG) auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten nur ein vorbereitender Anspruch sei, der in verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Hinsicht deutliche Unterschiede zu den weitergehenden Ansprüchen auf Unterlassung von Äußerungen und auf andere Leistungen (z.B. Geldentschädigung) aufweise. Über diese Ansprüche sei hier noch gar nicht zu entscheiden gewesen, stellte das KG klar. Entsprechend sei auch nur Facebook als der jeweilige Diensteanbieter am hiesigen Verfahren beteiligt gewesen, nicht aber die jeweiligen Verfasser der 22 streitgegenständlichen Kommentare.
Für den Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Severin Riemenschneider, der Künast in dem Fall vertritt, stellt sich die Frage, ob sich Rechtsordnung und Justiz stärker schützend vor politische Entscheidungsträger stellen müssen. "Der Anschlag auf Walter Lübcke hat bewiesen, dass Hass und Hetze in Gewalt münden können", so Riemenschneider. Man prüfe aktuell, ob eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht Aussicht auf Erfolg haben könnte.
In einer Mitteilung zur Entscheidung betont der Senat, keinesfalls verkannt zu haben, dass es zu einem Sprachverfall und insbesondere unter Ausnutzung der Anonymität im Internet zu einer Verrohung bis hin zu einer Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses gekommen sei. An der rechtlichen Beurteilung ändere das aber nichts, hieß es darin weiter.
acr/LTO-Redaktion
Künasts Beschwerde gegen "Drecks Fotze"-Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41055 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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