Strafverfolgern gelingt es immer seltener, Gespräche potenzieller Straftäter heimlich in Autos abzuhören. Grund ist die moderne Diebstahlsicherung vieler Autos. Baden-Württemberg will daher die Automobilhersteller in die Pflicht nehmen.
Was haben Autodiebe und Strafverfolger gemeinsam? Sie scheitern zunehmend daran, heimlich ins Innere eines Autos zu gelangen. Während die einen unter Umständen ihren kriminellen Plan aufgeben müssen, sind Ermittler offenbar zunehmend wegen der in den Fahrzeugen installierten Diebstahlsicherung gezwungen, auf den Einsatz verdeckter Ermittlungsinstrumente zu verzichten. Schließlich ist eine aufheulende Alarmanlage nicht sehr hilfreich, wenn es darum geht, still und heimlich im Auto eine Wanze zu installieren.
Um dieses Dilemma nunmehr im Hinblick auf eine möglichst effektive Strafverfolgung aufzulösen, möchte Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) ihre Ressortkolleginnen und -kollegen auf der kommenden Justizministerkonferenz (JuMiKo) davon überzeugen, dass die Strafprozessordnung (StPO) geändert wird. LTO liegt ein Beschlussvorschlag von Gentges vor, wonach Autohersteller künftig verpflichtet werden sollen, auf Anforderung der Ermittler Schlüsselcodes bzw. Zweitschlüssel herauszurücken.
"Die aktuellen Standards der Hersteller bei der technischen Diebstahlprävention stellen für das zwingend erforderliche Öffnen der Fahrzeuge durch die Ermittlungsbehörden vermehrt eine unüberwindbare Hürde dar. Dabei ist etwa ein Drittel aller Fahrzeuge, Tendenz steigend, mit Alarm- oder Warnfunktionen ausgestattet. Die Mitwirkung der Hersteller bei der Überwindung von Diebstahlalarmanlagen oder anderweitiger Warnfunktionen durch Herausgabe der Schließcodes bzw. von Zweitschlüsseln ist daher unabdingbar", heißt es in der Vorlage, die Gentges am 5. September der Vorsitzenden der 95. Justizministerkonferenz, Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann, übermittelte.
Fahrzeughersteller verweigern Auskunft
Ist die Öffnung des Fahrzeugs durch die Ermittler einmal geschafft, greifen für die Fahrzeuginnenraumüberwachung oder Erhebung von Bewegungsdaten die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen der Strafprozessordnung (StPO): In der Regel sind das die Vorschriften, die eine Observation außerhalb des Wohnraumes ermöglichen (§§ 100f und 100h StPO). Aber um überhaupt so weit zu kommen, bedarf es eben der Mithilfe der Fahrzeughersteller – und diese muss nach Ansicht des Justizressorts in Baden-Württemberg erst noch im Gesetz verankert werden.
Denn auf freiwillige Mithilfe können die Ermittler offenbar nicht zählen. Eine Herausgabe der erforderlichen Informationen werde in immer mehr Fällen von den Fahrzeugherstellern verweigert, heißt es in der Gentges-Vorlage. Sie beklagt: "Es ist nicht hinnehmbar, bei derart elementaren Ermittlungsinstrumenten auf das Wohlwollen und die Kooperationsbereitschaft der KfZ-Hersteller angewiesen zu sein, zumal dies nach den jüngsten Erfahrungen nicht verlässlich einschätzbar ist und – denselben Hersteller betreffend – auch von Bundesland zu Bundesland variieren können."
Gegenüber LTO ergänzte Gentges am Freitag*: “Die Entwicklung der Technik schreitet in allen Bereichen voran. Diebstahlsprävention ist wichtig, darf aber kein Hemmnis bei der Strafverfolgung werden. Daher setzen wir uns für eine rechtssichere Ermächtigungsgrundlage ein, die es den Ermittlungsbehörden erlaubt, die zur Bekämpfung schwerer Straftaten und der organisierten Kriminalität erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.”
Aktuell keine Rechtsgrundlage "weit und breit"
Nach Auffassung des Stuttgarter Justizministeriums führt nunmehr an einer Ergänzung in der StPO kein Weg vorbei. Bereits existierende Rechtsgrundlagen, die etwa die Mitwirkung von Telefonanbietern betreffen, ließen sich nicht auf Autohersteller übertragen. "Anders als bei der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO oder im Rahmen der Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten gemäß §§ 100g, 100k StPO besteht aber bei der Umsetzung der dargestellten verdeckten Maßnahmen keine gesetzliche Mitwirkungspflicht der Fahrzeughersteller", heißt es in dem Papier.
Auch lasse sich das Herausgabeverlangen von Schlüsselcodes bzw. Zweitschlüssel nicht auf die Durchsuchungsvorschrift § 95 StPO stützen. "Die Norm hat nur beweiserhebliche Gegenstände im Blick, wobei es den Ermittlungsbehörden vorliegend durch die Erlangung der Zugangsmöglichkeit zum Fahrzeug erst ermöglicht werden soll, Beweismittel auf anderem Weg in der Zukunft zu gewinnen", heißt es in der Vorlage.
Nicht in Betracht komme auch eine Inanspruchnahme von Mitarbeitern der Fahrzeughersteller als Zeugen oder Sachverständige. "Allein die Beauftragung eines Sachverständigen als solche ist […] keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Vornahme von Verrichtungen, die einer Eingriffsgrundlage entbehren." Und schließlich scheide auch die in § 161 StPO normierte allgemeine Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft als Grundlage aus. Daraus ergebe sich jedenfalls keine Pflicht zur Auskunftserteilung.
"Strafverfolgung muss effektiv betrieben werden"
Findet der Vorschlag von Gentges auf der JuMiKo kommenden Donnerstag eine Mehrheit, muss sich der Bundesjustizminister demnächst wohl an die Arbeit machen und einen Regelungsvorschlag vorlegen. Baden-Württemberg moniert, dass das bis vor kurzem noch von Marco Buschmann (FDP) geleitete BMJ in der Vergangenheit bei diesem Thema zu passiv geblieben sei. Einen ursprünglich angekündigten Austausch mit den Ländern hierzu habe es nicht gegeben.
Im Stuttgarter Antrag für die JuMiKo heißt es: "Vor diesem Hintergrund und angesichts der weiter wachsenden Herausforderungen der Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung von schwerer Kriminalität und der Terrorabwehr ist es dringend geboten, nochmals auf das Erfordernis der Schaffung einer gesetzlichen Regelung zur Mitwirkungspflicht Dritter bei Fahrzeugöffnungen hinzuweisen. Strafverfolgung muss trotz geänderter technischer Rahmenbedingungen effektiv betrieben werden können."
*Anmerkung der Redaktion: Das Statement der Ministerin für Justiz und Migration Marion Gentges (CDU) wurde am Tag des Erscheinens um 15:21 Uhr ergänzt.
Justizminister beraten: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55936 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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