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EuGH-Präsident Lenaerts im Interview bei Phoenix und ZDF: Trotz "grobem Klotz" in "Viel­falt geeint"

05.12.2022

Koen Lenaerts im Interview mit Frank Bräutigams, 3.12.2022

"Too bad for them" Der EuGH-Präsident spricht im Interview mit ARD-Rechtsjournalist Frank Bräutigam auch über das EZB-Urteil des BVerfG, das "zum Glück" ohne jede Folgen geblieben sei. Foto: phoenix/Screenshot LTO

Zum 70. Geburtstags des EuGH interviewten Phoenix und das ZDF den EuGH-Präsidenten Koen Lenaerts. Dieser spricht über gemeinsame Werte in Europa und kritisiert das Bundesverfassungsgericht für eine nationalistische Denkweise im EZB-Urteil.

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Koen Lenaerts dürfte der deutschen Allgemeinheit weitgehend unbekannt sein. Doch als Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist er der wichtigste Richter Europas. Der belgische Europarechtler hat eine lange Karriere am EuGH hinter sich. Seit 1984 ist er dort in unterschiedlichen Funktionen tätig. Seit Oktober 2015 ist er Präsident des EuGH. 

Öffentlich-rechtliche Fernsehsender nahmen den 70. Geburtstag des EuGH nun zum Anlass, Lenaerts einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Im Interview auf phoenix mit dem ARD-Rechtsjournalisten Frank Bräutigam bewertet Lenaerts die Europäische Union mit ihrem gemeinsamen Recht, mit ihren gemeinsamen Werten des Rechtsstaats und der liberalen Demokratie als essentiell zur Wahrung des Friedens im EU-Raum. Lenaert spricht über die Entstehung des EuGH, die Bedeutung gemeinsamer Rechtsprechung und verrät warum die Bücher im Besprechungsraum des EuGH bunt eingefärbt sind. 

 

 

"Grober Klotz" des Bundesverfassungsgerichts

Auf die Frage nach der Bewertung des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 2020, in dem sich die Richter:innen aus Karlsruhe über eine Entscheidung des EuGH hinwegsetzten, findet Lenaerts harsche Worte. Dieses sei ein "grober Klotz" gewesen. Es sei bereits im Ansatz "komisch" eine Kompetenzüberschreitung anzunehmen, weil der EuGH eine Frage angeblich nicht intensiv genug geprüft habe. Zudem wirft er dem BVerfG eine nationalistische Betrachtungsweise vor. Aufgabe des EuGH sei es, einen EU-weiten Prüfungsmaßstab zugrunde zu legen. Der EuGH könne etwa nicht einfach das deutsche Konzept der Verhältnismäßigkeitsprüfung anwenden, sondern es müsse ein gemeinsamer Maßstab gefunden und benutzt werden. 

Nationale Gerichte würden häufig den Fehler machen, Europarecht vom nationalen Rechtsrahmen her zu interpretieren und ihre Auslegung des Unionsrechts an die Stelle der Auslegung des EuGH zu setzen. "Das kann nie zum Erfolg führen", so Lenaert. 

Trotz EZB-Urteil: BVerfG bester Verbündeter des EuGH

Allerdings sei das Urteil ein Einzelfall gewesen, es habe "zum Glück" keinerlei Konsequenzen gehabt. Das Programm sei weiterhin gelaufen auch wenn das EuGH-Urteil hierzu nach dem Bundesverfassungsgericht schlechterdings nicht nachvollziehbar war. "Too bad for them. Das war absolut verständlich und nachvollziehbar für alle anderen", so der Gerichtspräsident. 

Das eigentlich bedauerliche an dem konsequenzlosen Urteil sei, dass es zum falschen Eindruck geführt habe, Mitgliedstaaten könnten einen Sonderweg bei der Rechtsprechung wählen. "Das ist für die Gemeinsamkeit der EU-Rechtsordnung gefährlich". Der richtige Weg wäre gewesen, eine erneute Vorlage an den EuGH zu adressieren, um so in den Dialog zu treten. 

Auf der anderen Seite habe das BVerfG in jüngerer Zeit sehr wichtige Urteile gefällt, in dem der Anwendungsvorrang des europäischen Rechts betont worden sei. Das BVerfG liefere Signale der Kooperation. Es sei auch das einzige Gericht in Europa, dass den EuGH als gesetzlichen Richter anerkenne. Das BVerfG bleibe der "beste Verbündete des EuGH".

Lenaert: Beim EuGH geht es um das "gemeinsame" nicht das "letzte" Wort

Während Lenaerts bei Frank Bräutigam 80 Minuten Zeit hatte, auch Detailaspekte zur Rechtsprechung des EuGH genüsslich auszubreiten, musste er sich im ZDF-heutejournal am Sonntagabend bei Christian Sievers kürzer fassen. Besonders stolz sei er auf die Urteile des EuGH zum Vorrang des EU-Rechts und die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten.

 

 

Die Frage, ob er gerne das "letzte Worte" habe, sei keine gute. "Im Unionsrecht geht es darum, das gemeinsame Wort zu sprechen. Man darf nie vergessen, dass das Unionsrecht eine gemeinsame Rechtsordnung darstellt für 27 Mitgliedstaaten. Damit es gemeinsamen Recht bleibt, braucht man auch ein gemeinsames Gericht und das haben die Mitgliedstaaten sehr gut verstanden, wenn sie und niemand anderes den EuGH geschaffen haben". Sein Motto für die nächsten Jahre? Einheit mit Vielfalt, mit Spielraum für eigene staatliche Identitäten. 

ast/fz/LTO-Redaktion

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EuGH-Präsident Lenaerts im Interview bei Phoenix und ZDF: Trotz "grobem Klotz" in "Vielfalt geeint" . In: Legal Tribune Online, 05.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50369/ (abgerufen am: 29.03.2023 )

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