IGH-Anhörungen zur Situation im Gazastreifen: Welche Verpf­lich­tungen zu humani­tärer Hilfe hat Israel?

von Dr. Franziska Kring

28.04.2025

Vor dem IGH hat ein neues Gutachtenverfahren begonnen. Es geht um Israels Verpflichtungen als Besatzungsmacht, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Israel selbst nimmt nicht teil, Palästina erneuert seine schweren Vorwürfe.

Der Gaza-Krieg, der mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begonnen hatte, findet kein Ende. Auch wenn entsprechende Verhandlungen laufen, gibt es bislang keine neue Vereinbarung über eine Waffenruhe. Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist katastrophal. Seit Anfang März hält Israel die Grenzen geschlossen, es kommen keine Hilfslieferungen mehr an. Nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) sind dessen Vorräte jetzt aufgebraucht. Mit der Blockade will Israel nach eigenen Angaben den Druck auf die islamistische Hamas erhöhen, die entführten israelischen Geiseln freizulassen.

Vor diesem Hintergrund begann am Montag erneut ein Gutachtenverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Es geht um die Frage, welche Verpflichtungen Israel hat, um humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe in den besetzten palästinensischen Gebieten zuzulassen – und zwar sowohl in seiner Rolle als Besatzungsmacht als auch als Mitglied der Vereinten Nationen. Im Dezember 2024 hatte die UN-Generalversammlung den IGH mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt (Resolution v. 19.12.2024, A/RES/79/232).

In den Anhörungen, die noch bis Freitag gehen, werden mehr als 40 Staaten und Organisationen ihre Stellungnahmen abgeben. Am Montag waren zunächst die UN und Palästina, das den Status eines Beobachtungsstaates hat, an der Reihe. 

Israel wird nicht teilnehmen. Der israelische Außenminister Gideon Saar äußerte vor Journalisten in Jerusalem schwere Vorwürfe gegen die Vereinten Nationen und insbesondere auch gegen das UN-Palästinenserhilfswerk (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugee, UNRWA). 

Israel wirft Vereinten Nationen Einseitigkeit vor

Israel wirft der Organisation vor, von der islamistischen Hamas unterwandert zu sein. Nach Darstellung Israels beschäftigte das UNRWA mehr als 1.400 bekannte Terroristen, einige seien am Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen. Israel hat UNRWA ein Arbeitsverbot erteilt, das im Januar in Kraft trat. Faktisch werden so die Palästinensergebiete abgeriegelt. Völkerrechtler Prof. Matthias Goldmann hat dieses Verbot bereits im November für LTO eingeordnet – und sieht zumindest das Risiko eines Genozids. Die Organisation setzt ihre Tätigkeit jedoch fort. 

Israels Außenminister Saar sagt, die Vereinten Nationen seien Israel gegenüber voreingenommen. "Kein anderes Land – weder eine Demokratie noch ein anderes Regime – wurde so oft vor den IGH gebracht wie Israel. Keine andere Nation wird so systematisch mit zweierlei Maß gemessen."

Der Hamas wirft Israel vor, sie habe sich Hilfsgüter mit Gewalt angeeignet und verkaufe diese zu hohen Preisen an die Zivilbevölkerung.

Rechtsvertreter der Palästinenser: "Israel will die Auslöschung unseres Volkes"

Rechtsvertreter der Palästinenser sehen in der Blockade von Hilfsgütern und Nahrungsmittel im Gazastreifen einen Völkermord. "Israel beabsichtigt die Zerstörung unseres Volkes, es will die Auslöschung des palästinensischen Volkes", sagte der Botschafter der palästinensischen Gebiete, Ammar Hijazi, vor dem IGH. Israel setze die Verweigerung der humanitären Hilfe als Waffe ein – das sei ein Kriegsverbrechen. 

Das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung stellt ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2 b) xxv) des Römischen Statuts des IStGH (Rom-Statut) dar.

Auch mit Angriffen auf UN-Einrichtungen und -Mitarbeiter verletzte Israel internationales Recht, so die Untergeneralsekretärin der UN, Elinor Hammarskjöld.

Die UN forderten von Israel den ungehinderten Zugang für Hilfsgüter für die Menschen im Gazastreifen. Die seit fast 60 Tagen andauernde totale Blockade von humanitärer Hilfe sei ein Verstoß gegen internationales Recht, so Hammarskjöld. "Israel ist verpflichtet, für die Bevölkerung zu sorgen und Hilfe zu ermöglichen", sagte sie. 

Nicht das erste Rechtsgutachten

Bereits im vergangenen Juli hatte der IGH in einem Rechtsgutachten festgestellt, dass Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten (Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen) eine völkerrechtswidrige Annexion betreibt, LTO hatte berichtet. Was diese weitreichende Feststellung bedeutet, hat Prof. Claus Kreß in seinem Beitrag ausführlich dargelegt. Zudem forderte der IGH Israel auf, sich "so schnell wie möglich" aus den Gebieten zurückziehen.

Damit entfallen jedoch nicht die humanitären Pflichten der Besatzungsmacht zum Schutz der Zivilbevölkerung sowie zur Wahrung der Menschenrechte.

Welche konkreten Verpflichtungen Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung hat, wird der IGH in seinem neuen Gutachten klären. Bis zur Veröffentlichung können allerdings Monate vergehen. Ein solches Rechtsgutachten ist zwar rechtlich nicht bindend, kann aber den internationalen Druck auf Israel weiter erhöhen.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

IGH-Anhörungen zur Situation im Gazastreifen: . In: Legal Tribune Online, 28.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57079 (abgerufen am: 22.05.2025 )

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