Vor 70 Jahren tagten Vertreter der westdeutschen Länder im "bayerischen Meer" auf der Herreninsel im Chiemsee. Binnen 14 Tagen erarbeiteten sie die Grundlagen des Grundgesetzes. Unter ihnen waren auch Anhänger des NS-Regimes wie Theodor Maunz.
"Was hat die Sache beschleunigt?", fragt Gerhard Waschin. Seine Antwort: "Das Wetter und die Mücken!" Die Sache - das ist der Verfassungskonvent Herrenchiemsee, der vor 70 Jahren im Sommer 1948 auf der kleinen Insel im "bayerischen Meer" abgehalten wurde. Relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit und misstrauisch beobachtet von der großen Politik trafen sich dort vom 10. bis 23. August Vertreter der westdeutschen Länder. Sie wollten Grundlagen für eine Verfassung erarbeiten, die dem besiegten Land, das einmal das Deutsche Reich war, einen juristischen Neustart ermöglichen sollte.
Und wie war es im August? Heiß, und die Mücken surrten, berichtet Waschin. Kein Ort, um lange zu verweilen, trotz der idyllischen Lage fern von Kriegstrümmern. So wollten viele schnell fertig werden.
Fast 70 Jahre später, ebenfalls an einem Sommertag, führt Waschin eine Gruppe Geschichtslehrer durch die Ausstellung im Augustiner-Chorherrenstift, wo 1948 getagt wurde. Der Raum, einst das Speisezimmer von König Ludwig II., ist original erhalten. Anhand der Sitzordnung, die ausliegt, sieht man, wer sich damals über die Verfassung für die noch gar nicht existierende Bundesrepublik stritt.
Unter den Delegierten befanden sich auch Anhänger des NS-Regimes. So saß der Staatsrechtler Theodor Maunz neben dem KZ-Überlebenden Hermann Brill. Ihr Auftrag für die Zusammenarbeit sei damals gar nicht so klar gewesen, berichtet Walther Michl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. In der britischen Besatzungszone etwa habe man kein politisches Mandat für die Versammlung gesehen, in der amerikanischen und der französischen dagegen habe man auf politische Entscheidungen gedrungen.
14 Tage für das Grundgesetz
Dennoch wurde in Herrenchiemsee vieles vorbereitet, was später Einzug in das fast auf den Tag genau neun Monate später in Kraft getretene Grundgesetz erhielt. Michl wertet die Ergebnisse des Konvents, die in wichtigen Teilen vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz aufgenommen wurden, als "sehr bedeutende Grundlage".
So gehe es etwa auf Hermann Brill zurück, dass die Verfassung mit einem Grundrechtsteil beginnt. Neu für die deutsche Verfassung war auch, dass ein Bundesverfassungsgericht eingerichtet wird, welches Verfassungsverstöße ahnden kann. Und auch das konstruktive Misstrauensvotum und die reduzierte Stellung des Bundespräsidenten wurden auf der Herreninsel erarbeitet. Schließlich wertet Michl auch die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz, die manche Bestimmungen der Verfassung für unaufhebbar erklärt, als eine "sehr bedeutende Grundlage".
Gästeführer Gerhard Waschin führt seine Gruppe weiter, erzählt von geizigen Konventteilnehmern. Die mussten nämlich für eventuell mitgereiste Gattinnen selbst zahlen. "Da haben die ganz schön geknausert am Trinkgeld." Seit Anfang des Jahres führt Waschin unter dem Motto "Verfassungsinsel Herrenchiemsee" vor allem Erwachsene durch die Ausstellung. Polizeischüler, Juristen, Lehrer. "Das wird gut angenommen." Vielleicht trägt das Jubiläum dazu bei, denn die Ausstellung selbst existiert schon 20 Jahre und "ist eigentlich wenig beachtet worden". "Kaum einer weiß noch, dass dort innerhalb von 14 Tagen das Grundgesetz entstanden ist", sagte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 über Herrenchiemsee.
dpa/tik/LTO-Redaktion
70 Jahre Grundlagen des Grundgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30255 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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