Nach dem Inkrafttreten des 20-Punkte-Plans hat die islamistische Hamas die im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln freigelassen. Bewegende Bilder aus Israel einerseits, andererseits die offene Frage, wie es jetzt weitergeht.
Nach 738 Tagen Gefangenschaft sind die restlichen von der islamistischen Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln frei. Mehrere israelische Medien berichteten, dass bei einer zweiten Übergabe 13 der aus Israel entführten Menschen – darunter auch der Deutsch-Israeli Rom Braslavski – dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben worden seien. Kurz zuvor waren die ersten sieben Geiseln zurück nach Israel gebracht worden, darunter auch die Deutsch-Israelis Alon Ohel sowie Gali und Ziv Berman. Alle freigelassenen Geiseln sind laut israelischen Medien in "gutem Zustand".
Am vergangenen Freitag war im Rahmen eines von US-Präsident Donald Trump initiierten Friedensplans, den Prof. Dr. Matthias Goldmann hier für LTO einordnet, eine Waffenruhe im Gaza-Krieg in Kraft getreten. Im Gegenzug für die Übergabe der Geiseln sah der sogenannte 20-Punkte-Plan vor, dass Israel rund 2.000 palästinensische Häftlinge freilassen muss. Davon sollen bis zu 250 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden sein.
Zu Beginn der Waffenruhe hatte sich die israelische Armee auf die vereinbarte Linie zurückgezogen. Dennoch behält sie weiterhin die Kontrolle über rund die Hälfte des von Israel abgeriegelten Küstenstreifens. Die festgehaltenen Geiseln waren während ihrer Gefangenschaft schwersten Bedingungen ausgesetzt. Bereits zuvor freigelassene Personen berichteten von Folter und massiven Misshandlungen. In von den Terrororganisationen veröffentlichtem Videomaterial waren deutlich abgemagerte Geiseln zu sehen.
Kurz vor ihrer Freilassung hatten einige Geiseln Berichten zufolge per Video mit ihren Angehörigen telefonieren können. Israelische Medien veröffentlichten Bilder der Gespräche, auch Videos davon tauchten in sozialen Medien auf. Für die Geiseln war es wohl der erste Kontakt mit ihren Familien nach Gefangenschaft seit mehr als zwei Jahren.
Merz und Trump bei Unterzeichnung der Gaza-Erklärung
Bundeskanzler Friedrich Merz ist am Vormittag von Berlin nach Ägypten aufgebrochen, um gemeinsam mit fast 20 Staats- und Regierungschefs an einer Friedenszeremonie für Gaza teilzunehmen. Im Badeort Scharm el-Scheich soll am Nachmittag feierlich eine Erklärung zum Friedensplan von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet werden, der nach zwei Jahren Gaza-Krieg eine dauerhafte Waffenruhe vorsieht. Deutschland hat zugesagt, die Umsetzung des Plans zu unterstützen und sich am Wiederaufbau des Gazastreifens maßgeblich zu beteiligen.
Vertreten sind in Scharm el-Scheich 19 Länder, zumeist auf höchster Ebene. Neben US-Präsident Donald Trump nehmen unter anderem EU-Ratspräsident António Costa, UN-Generalsekretär António Guterres, der ägyptische Präsident Abdel-Fattah al-Sisi, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani teil. Zunächst hieß es, sogar der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde zu dem Gipfeltreffen im ägyptischen Scharm el-Scheich reisen. Letztlich sagte er wegen des Zeitdrucks vor den anstehenden israelischen Feiertagen aber ab.
Die Erklärung zum US-Friedensplan wird von Trump, dem ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, unterzeichnet. Nach der Zeremonie wird al-Sisi ein kurzes Grußwort halten und Trump eine längere Rede. Merz fliegt schon am Abend wieder nach Berlin zurück.
Zentralrat der Juden: "Sicherlich keine Rückkehr in die Normalität"
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, erklärte dazu, die Freilassung der Geiseln sei zwar ein Grund zur Erleichterung, aber kein Zeichen der Normalität. "Bei aller Freude bedeutet dieser Tag sicherlich keine Rückkehr in die Normalität. Israel ist durch die Feinde in seiner Nachbarschaft weiterhin akut bedroht. Der Freilassung der Geiseln müssen daher die weiteren Phasen des Trump-Plans folgen. Die Hamas muss entwaffnet und entmachtet werden, der Wiederaufbau von Gaza und ein dauerhafter Frieden sind nur ohne ihre Beteiligung denkbar", so Schuster.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den freigelassenen Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft geschrieben. Er habe die Hoffnung ausgedrückt, "dass sie die Folgen der Gewalt, die sie erleiden mussten, nach und nach werden hinter sich lassen können", hieß es in einer Mitteilung. Der Bundespräsident sei seit dem 7. Oktober 2023 in stetem Kontakt mit den Geisel-Familien gewesen und habe sie viele Male persönlich getroffen. Die Familien der am Montag freigelassenen deutschen Geiseln habe er zuletzt am 10. Juli getroffen.
Von dem in Ägypten stattfindenden Gipfel wünschte sich Steinmeier ein klares Bekenntnis zur Umsetzung der weiteren Phasen des 20-Punkte-Plans. "Deutschland ist bereit, tatkräftig mitzuhelfen, um den schwierigen Prozess für Frieden und Zusammenarbeit im Nahen Osten zu unterstützen", hieß es weiter.
Hamas soll auch sterbliche Überreste der toten Geiseln übergeben
Auf dem "Platz der Geiseln" in Tel Aviv hatten sich am Montag schon in den frühen Morgenstunden Hunderte Menschen versammelt. Sie trugen Porträts der Verschleppten, schwenkten blau-weiße israelische Flaggen und warteten auf die erlösende Nachricht. Als die ersten Geiseln freigelassen wurden, brach auf dem Platz unbändiger Jubel aus. Im Fernsehen liefen zeitgleich Livebilder aus den Wohnungen der Angehörigen, die nach 738 Tagen brutaler Gefangenschaft in Tränen der Erleichterung ausbrechen. "Wir sind alle unglaublich bewegt", sagt Danielle Aloni, die selbst Geisel der Hamas war. Sie ist die Schwägerin von David Cunio, einer der noch 20 lebenden Geiseln. "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, es ist unbeschreiblich", sagt sie dem israelischen Sender N12.
Als besonders symbolisch gilt, dass die Geiseln, die bei dem völlig überraschend kommenden Angriff vor zwei Jahren am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) entführt worden waren, nun wieder an demselben Feiertag freigekommen sind.
Doch neben der Freude bleibt auch tiefer Schmerz. Es gibt Familien, deren Angehörige nicht lebend zurückkehren werden. Teil der Vereinbarung ist auch die Übergabe von 28 Leichen. Viele Angehörige fürchten, dass die sterblichen Überreste ihrer Liebsten in den Trümmern des zerstörten Gazastreifens nie gefunden werden könnten. Ein internationaler Suchtrupp soll nun alles daransetzen, auch die vermissten Leichen zu bergen und den Familien Gewissheit zu geben. Israels Militär geht nicht davon aus, dass die Hamas auch alle 28 toten Geiseln am Montag – und damit innerhalb der im Rahmen der Waffenruhe vereinbarten 72-Stunden-Frist – übergeben kann.
dpa/xp/LTO-Redaktion
Nach 738 Tagen: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58365 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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