Israel sieht "eine Reihe von tatsächlichen und rechtlichen Fehlern" und legt Beschwerde gegen die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes ein. Gleichzeitig beantragt es, die Vollstreckung der Haftbefehle auszusetzen.
Vor einer Woche hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den früheren Verteidigungsminister Joaw Galant erlassen, LTO berichtete. Es geht um den Vorwurf von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg. Gleichzeitig hat die zuständige Vorverfahrenskammer I des IStGH in zwei gesonderten Beschlüssen Einwände Israels gegen die Gerichtsbarkeit des IStGH und die Zulässigkeit der Strafverfolgung verworfen.
Nachdem Israel die Haftbefehle zunächst scharf kritisiert hatte, geht es jetzt auch vor dem IStGH dagegen vor. Die Entscheidung des Gerichts, Haftbefehle auszustellen, sei "ohne faktische und rechtliche Grundlage" erfolgt.
In der Sache richtet sich Israel jeweils mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung sowie der dazugehörigen Berufung gegen die zwei Beschlüsse. Israel argumentiert jedoch, die Haftbefehlsentscheidungen seien "untrennbar mit den Entscheidungen der Vorverfahrenskammer über die Gerichtsbarkeit und die Zulässigkeit verbunden". Dies gehe auch aus der Pressemitteilung des IStGH hervor, die sich auf alle drei Entscheidungen beziehe. Die Feststellung, ob der Gerichtshof seine Zuständigkeit ausüben dürfe oder nicht, sei eine notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls. Deshalb will Israel erreichen, dass die Haftbefehle aufgehoben werden oder zumindest die Vollstreckung ausgesetzt wird, bis die Vorverfahrenskammer über seine Einwände gegen die Zulässigkeit entschieden hat.
Israel zweifelt Gerichtsbarkeit des IStGH an
Konkret zweifelt Israel insbesondere die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes an, denn es ist – anders als Palästina – kein Vertragsstaat des IStGH. Die Vorverfahrenskammer I des IStGH hatte im Februar 2021 jedoch ihre Zuständigkeit für die seit 1967 besetzten Gebiete wie das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalems und des Gaza-Streifens festgestellt. Damit unterfallen Taten, die auf palästinensischem Territorium begangen wurden – auch solche von israelischen Staatsangehörigen – der Gerichtsbarkeit des IStGH. Auf dieser Basis nahm der IStGH seine Gerichtsbarkeit an.
Schon früh im Verfahren hatte Israel Einwände gegen die Gerichtsbarkeit des IStGH erhoben. Tatsächlich sei das jedoch erst nach Erlass der Haftbefehle möglich gewesen, so die Vorverfahrenskammer in ihrem Beschluss unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 1 und 2 des IStGH-Statuts. Eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Einwand fand nicht statt. Vor dem Hintergrund, dass diese Rechtsfragen auch im sogenannten amicus-curiae-Verfahren besonders umstritten waren, ist das bemerkenswert, führten Prof. Dr. Aziz Epik und Prof. Dr. Julia Geneuss in ihrem Gastbeitrag für LTO aus.
Israel macht weiterhin geltend, es sei entgegen Art. 18 Abs. 1 des IStGH-Statuts nicht erneut über die Einleitung von Ermittlungen informiert worden. Eine förmliche Benachrichtigung sei zwar im Jahr 2021 erfolgt, nachdem die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda offiziell Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in den besetzten palästinensischen Gebieten eingeleitet hatte. Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem Ausbruch des Gaza-Krieges habe sich die Situation aber wesentlich verändert, sodass eine neue Benachrichtigung erforderlich gewesen wäre, argumentiert Israel. Dies sei aber erforderlich, um den Staaten die Möglichkeit zu geben, eigene Ermittlungen einzuleiten. Dann nämlich wäre der IStGH wegen des sogenannten Komplementaritätsprinzips nicht mehr zuständig. Die Vorverfahrenskammer geht dagegen davon aus, dass es sich um eine einheitliche Situation handelt, die sich durch die Eskalation nicht grundlegend verändert habe. Deshalb ist die ursprüngliche Benachrichtigung aus ihrer Sicht ausreichend.
Keine aufschiebende Wirkung
In prozessualer Hinsicht stützt sich Israel vor allem auf Art. 82 Abs. 1 lit. a) des IStGH-Statuts. Demnach können die Parteien gegen Entscheidungen betreffend die Gerichtsbarkeit oder Zulässigkeit Beschwerde einlegen. Vorsorglich stellt es ebenfalls noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung.
Über die Einwände Israels entscheiden wird eine Berufungskammer des IStGH.
Grundsätzlich haben Beschwerden nach Art. 82 Abs. 3 IStGH-Statut keine aufschiebende Wirkung. Die Berufungskammer kann dies jedoch anordnen.
Seit dem Erlass der Haftbefehle hätte Israel auch nach Art. 19 Abs. 2 des IStGH-Statuts die Gerichtsbarkeit des IStGH anfechten können. Dann aber hätte wieder die Vorverfahrenskammer entschieden, die schon die Haftbefehle erlassen hat. "Vielleicht wollte Israel hier direkt eine Entscheidung der Berufungskammer erwirken. Die Vorverfahrenskammer hat ja ihre Auffassung zur Gerichtsbarkeit schon zu erkennen gegeben", überlegt die Marburger Völkerstrafrechtlerin Prof. Dr. Stefanie Bock.
Nach den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Galant: . In: Legal Tribune Online, 28.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55992 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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