Bevor ein Haftrichter eine Freiheitsentziehung anordnet, muss er prüfen, ob dem Betroffenen nicht zuvor ein Anwalt hätte beigeordnet werden sollen. Dies entschied der BGH im Rahmen eines Abschiebeverfahrens.
Mit einer nun veröffentlichenten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Vorgaben für Haftrichter konkretisiert, inwieweit sich diese bei Betroffenen nach einem Anwaltswunsch erkundigen müssen (Beschl. v. 15.12.2020, Az. XIII ZB 123/19). Eine iranische Staatsangehörige hatte sich nach einem erfolglos verlaufenen Asylverfahren in Deutschland ihrer Abschiebung in die Slowakei widersetzt und sollte daraufhin nach einem Beschluss des Amtsgerichts (AG) Bamberg "zur Sicherstellung der Überstellung" in Abschiebehaft.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Haftrichter des AG hatte die Frau erklärt, sie sage ohne Anwalt nichts mehr und gebe auch ihre Personalien nicht an. Allerdings wertete das AG diese Worte nicht als Wunsch, dass ihr ein Anwalt beigeordnet werden soll, sondern lediglich als Antrag auf Verfahrenkostenhilfe. Dem Antrag der beteiligten Behörde auf Abschiebungshaft gab der Haftrichter statt. Eine dagegen von der Frau eingelegte Beschwerde blieb vor dem Landgericht (LG) Bamberg erfolglos.
Dieses bestätigte vielmehr die Haftanordnung und entschied, dass selbst wenn man die Aussage der Betroffenen bei ihrer Anhörung, sie sage ohne Anwalt nichts mehr, als Frage nach einem Anwalt auslege, führe dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, da Verfahrenskostenhilfe im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu bewilligen gewesen wäre. Die Rechtsverteidigung der Iranerin hätte keine Aussicht auf Erfolg geboten. Es lasse sich zudem nicht feststellen, dass die Betroffene in der Lage gewesen wäre, einen Wahlanwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an der Anhörung teilzunehmen.
BGH: "Schwerwiegender Verfahrensfehler"
Diese Rechtsauffassung von AG und LG ließ der BGH indes nicht gelten und gab der Rechtsbeschwerde der Iranerin in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss statt.
Den Karlsruher Richtern zufolge habe das AG die Iranerin in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Dieser garantiere jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen.
Die Äußerung, dass die Frau ohne Anwalt nichts sage, durfte laut BGH nicht ohne weitere Klärung ihres Willens (lediglich) als Verfahrenskostenhilfeantrag verstanden werden. Denn der Erklärung war nicht zu entnehmen, dass die Betroffene auf ihr Recht, einen Anwalt zur Anhörung hinzuzuziehen, zu verzichten bereit war, wenn ihr keine Verfahrenskostenhilfe gewährt werde.
Der Haftrichter, so der BGH, hätte die Betroffene daher fragen müssen, ob ein Anwalt kontaktiert werden solle, oder ihr hierzu Gelegenheit geben müssen.
Hätte sie dann einen Anwalt benannt, hätte dieser zum Termin hinzugezogen werden müssen. Wäre dies nicht möglich gewesen, hätte das Amtsgericht die Haft nicht endgültig, sondern nur im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig anordnen dürfen. "Die Anhörung der Iranerin leidet an einem schwerwiegenden Verfahrensfehler, der nicht nur den ordnungsgemäßen Ablauf der Anhörung, sondern deren Grundlagen betrifft", resumierten die Richterinnen und Richter des XIII. Zivilsenats.
hs/LTO-Redaktion
BGH zum Grundsatz des fairen Verfahrens: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44293 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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