Gutachten zu völkerrechtlicher Grundlage für Anti-IS-Einsatz: Ist der Terror mitt­ler­weile zu schwach?

10.07.2018

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten Zweifel geäußert, ob der Einsatz der Anti-IS-Koalition in Syrien völkerrechtlich zulässig ist. Russland hingegen agiere im Rahmen des internationalen Rechts.

Deutschland beteiligt sich seit Anfang 2016 militärisch mit Aufklärungsflügen an der Anti-IS-Koalition in Syrien, die dort gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) kämpft. Die USA hatten zuvor immer wieder auf eine Beteiligung der anderen NATO-Staaten gedrungen, welche die Bundesregierung zuvor abgelehnt hatte. Nun aber beteiligt sich die Bundeswehr am Kampfeinsatz gegen die Islamisten. Doch hat man sich zugunsten der Amerikaner in einen rechtswidrigen Kriegsakt begeben, wie man es 2003 bei Gerhard Schröders Nein zum Irak-Krieg noch erfolgreich vermieden hatte?

In den Reihen der Linken im Bundestag ist man überzeugt, dass der NATO-Einsatz in Syrien rechtswidrig ist, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist anhängig. Ob diese Aussicht auf Erfolg hat, schien bislang fraglich. Nun erhält man ein wenig Unterstützung durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, der in einem Gutachten, angefordert vom Linken-Abgeordneten Alexander Neu, Obmann seiner Fraktion im Verteidigungsausschuss sowie deren Osteuropa-Beauftragter, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes äußert.

Das Gutachten stellt zunächst fest, dass der Einsatz Russlands gegen die syrischen Rebellen, die sich bei Weitem nicht nur aus den Terroristen des IS speisen, sondern vielmehr eine sehr heterogene Gruppe seien, rechtens sei. Mit Mandat der Regierung unter dem nach wie vor amtierenden Präsidenten Baschar al-Assad verstoße Russland nicht gegen das in Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot.

Ist der IS zu schwach, um eine Intervention noch zu rechtfertigen?

Für den Einsatz der Westmächte ist die Rechtsgrundlage nach dem Gutachten dagegen eher dünn: Die USA berufen sich dafür auf das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der Charta. Der Wissenschaftliche Dienst hat aber Zweifel, ob diese Argumentation tragfähig ist. Zunächst einmal sei es umstritten, ob man sich bei nichtstaatlichen Akteuren überhaupt darauf berufen könne, so die Ausführungen der Bundestags-Juristen. Und auch dann sei dies nur zulässig, wenn der Staat, in dem der Akteur - in diesem Fall der IS - sitze, entweder zurechenbar an dessen Wirken beteiligt oder "nicht in der Lage oder nicht willens" sei, selbst dagegen vorzugehen.

Zuzurechnen sei dem Assad-Regime der Terrorismus jedenfalls nicht, da es selbst u. a. gegen den IS Krieg führe, heißt es in dem Gutachten. Somit bliebe nur die Unfähigkeit des Regimes, den IS selbst zu stoppen, doch dies würde eine "territorial verfestigte Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes" durch die Terroristen voraussetzen. Dies war zu Beginn des Einsatzes sicherlich noch der Fall, inzwischen aber gilt der IS als militärisch weitgehend zurückgedrängt. Somit sei der "Rekurs auf das
Selbstverteidigungsrecht zunehmend schwerer zu begründen", so das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes.

Ob das Gutachten damit wirklich, wie Auftraggeber Neu selbst mitteilt, "eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung und ihre außen- und sicherheitspolitische Positionierung" ist, sei dahingestellt. Eine klare Aussage zur Rechtswidrigkeit enthält es nämlich hinsichtlich des Einsatzes gegen den IS nicht. Für Diskussionsstoff im Parlament dürfte damit aber weiter gesorgt sein.

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Gutachten zu völkerrechtlicher Grundlage für Anti-IS-Einsatz: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29671 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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