Ein Jahr lang hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen zurückgehalten. Nun wurde eine neue Untersuchung vorgestellt - und Vorgänge benannt.
Der Strafrechtler Björn Gercke hat in seinem Gutachten zum Umgang des Erzbistums Köln mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs Hinweise auf 202 Beschuldigte festgestellt. Das sagte er bei der Vorstellung der 800 Seiten starken Untersuchung am Donnerstag in Köln. Es gehe um das erste Gutachten dieser Art, in dem ungeschwärzt auch die Namen von Verantwortlichen genannt würden, sagte Gercke. Zusammen mit seinem Team hat der Rechtsanwalt in den vergangenen Monaten die Kirchenakten von 1975 bis 2018 ausgewertet.
Die Opfer waren demnach mehrheitlich Jungen. Bei 63 Prozent der Beschuldigten handele es sich um Kleriker, also Priester. In knapp 32 Prozent der Fälle habe es sich um sexuellen Missbrauch gehandelt, in gut 15 Prozent um schweren sexuellen Missbrauch. Die anderen Fälle stuft Gercke unter anderem als Grenzverletzungen und sonstige sexuelle Verfehlungen ein.
Die Auswertung habe unter anderem ergeben, "dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen", kritisierte Gercke. Außerdem kritisierte er die Aktenführung des Bistums als äußerst mangelhaft. "Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt. Wir haben bei einigen Akten den Eindruck gewonnen, dass Aktenbestandteile fehlten, da die Verfahrensführung nicht nachvollziehbar war", so Gercke.
Pflichtverletzungen bei der Aufarbeitung
Gercke warf dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße elf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen im Erzbistum Köln vor. Beim Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sehen der Rechtanwalt und sein Team dagegen keine Pflichtverletzungen, wie Gercke und die Rechtsanwältin Kerstin Stirner bei der Vorstellung ihres Gutachtens sagten.
Heße war vor seiner Berufung nach Hamburg Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln gewesen. In dieser Funktion musste er sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester auseinandersetzen. Heße bestreitet bisher die bereits in anderem Zusammenhang gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Nach dem Urteil der Gutachter sind elf Pflichtverletzungen nachweisbar.
Die meisten Pflichtverletzungen stellte Gerke bei dem 2017 verstorbenen Kardinal Joachim Meisner fest. Auf Meisners Konto gehe ein Drittel aller festgestellten Pflichtverletzungen, nämlich 24, sagten Gercke und seine Kollegin Stirner. Ihm sei bewusst, dass Meisner in Köln für viele Menschen "Legendenstatus" habe, sagte Gercke. Weitere Pflichtverletzungen wurden demnach bei Meisners Vorgänger Kardinal Joseph Höffner (1906-1987) und bei ehemaligen Generalvikaren festgestellt.
Woelki stellt vorläufig zwei Mitarbeiter frei
Ein erstes Gutachten einer Münchner Kanzlei war vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unter Verschluss gehalten worden, wofür er rechtliche Bedenken anführte. Dieses Verhalten Woelkis hatte eine Vertrauenskrise im größten deutschen Bistum ausgelöst.
Woelki wurde von Gercke nun aber ausdrücklich in Schutz genommen. "Medial wäre es für uns am einfachsten gewesen, Herrn Woelki hier zum Schafott zu führen", sagte der Strafrechtler. Dafür gebe es aber keine Grundlage. Auch in dem zurückgehaltenen Münchner Gutachten sei Woelki nicht belastet worden.
Nach der Vorstellung des Gutachtens hat Woelki zwei Mitarbeiter vorläufig von ihren Dienstpflichten entbunden. "Daher möchte ich auch aus der Situation der Stunde heraus und auch auf der Grundlage dessen, was ich hier gerade gehört habe, die gerade Genannten, Weihbischof Schwaderlapp und Herrn Offizial Assenmacher, mit sofortiger Wirkung vorläufig von ihren Aufgaben entbinden", sagte Woelki am Donnerstag in Köln.
Nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens fordert Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) weiterreichende Konsequenzen. "Alle, die in der katholischen Kirche Verantwortung tragen, müssen endlich Strukturen ändern, hinschauen und eingreifen", erklärte die SPD-Politikerin am Donnerstag in Berlin. "Es sind dringend vertrauenswürdige Stellen erforderlich, die jeden Hinweis ernst nehmen." Die katholische Kirche müsse endlich alles dafür tun, dass sich entsetzliche Verbrechen gegen Kinder nicht wiederholen.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Missbrauchsvorwürfe im Erzbistum Köln: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44531 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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