Hinterbliebene der Passagiere des 2014 abgeschossenen Flugzeugs MH17 fordern Schadensersatz in Millionenhöhe von der Ukraine. Ein Fachaufsatz kommt nun zu dem Ergebnis, dass das Land nicht verpflichtet gewesen sei, seinen Luftraum zu sperren.
Am 17. Juli 2014 starben sämtliche 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder des Malaysian Airline Fluges MH17, nachdem dieser unter nicht eindeutig aufgeklärten Umständen über dem Gebiet der Ostukraine durch eine russische Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden war.
Der Vorfall hat auch juristische Konsequenzen: Einige Angehörige der Verstorbenen verklagten die Ukraine in der Folge auf Schadensersatz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Da das betroffene Gebiet bereits seit Monaten umkämpft war und dort in den vorangegangenen Tagen zwei Kampfflugzeuge abgeschossen worden waren, hätte die Ukraine den Luftraum für die zivile Luftfahrt sperren müssen. Für die durch dieses Versäumnis entstandenen Schäden sei sie haftbar, so das Argument der Kläger vor dem EGMR, die vom Luftrechtler Prof. Dr. Elmar Giemulla vertreten werden.
Ein Gutachten des Düsseldorfer Anwalts Dr. Norbert Knittlmayer kommt zu einem anderen Ergebnis. Der Fachaufsatz in einem Sonderdruck der im - wie auch LTO zu Wolters Kluwer gehörenden - Carl Heymann Verlag erscheinenden Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht sei nicht zur Verwendung im Prozess bestimmt und von niemandem in Auftrag gegeben, so der Partner der Sozietät Marccus Partners. Vor seiner Tätigkeit in der international tätigen Wirtschaftskanzlei war Knittlmayer in der Rechtsabteilung der NASA in Washington D.C. tätig und hat am Institut für Luft- und Weltraumrecht der Universität zu Köln promoviert. Den Aufsatz zu MH17 habe er aus rein fachlichem Interesse angefertigt, er sei "nicht als anwaltlicher Berater von oder Vertreter für Personen, Institutionen oder Staaten tätig, die vom Abschuss des Fluges MH17 betroffen sind".
Knittlmayer: Es gibt keine Regelung zur Sperrung des Luftraums
Nach Überzeugung von Knittlmayer war die Ukraine trotz der bekannten Konfliktlage nicht verpflichtet, den östlichen Teil ihres Luftraums zu sperren. Die territoriale Souveränität des Staates begründe zwar seine Zuständigkeit für die Sicherung seines Luftraums, nicht aber Schadensersatzansprüche für den Fall, dass diese Pflicht verletzt worden sei. Nach Völkergewohnheitsrecht bestehe bereits keine Pflicht zur Sperrung des Luftraums über Konfliktzonen, da dies weder einschlägige Staatenpraxis noch allgemeine Rechtsüberzeugung sei; im Gegenteil habe eine Sperrung nach einem Bericht des Dutch Safety Boards (DSB) im Jahr 2014 bei elf untersuchten bewaffneten Konflikten nur in zwei Staaten, und dort auch nur teilweise, stattgefunden.
Neben diesen allgemeinen Erwägungen prüft das Gutachten auch eine Reihe von Regelungen des Chicagoer Abkommens, des Transitabkommens, der Bestimmungen der International Civil Aviation Organization und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Keine von ihnen enthalte aber eindeutige Bestimmungen zur Sperrpflicht bzw. zu Ersatzansprüchen im Fall schuldhaften Unterlassens der Luftraumsperrung, keine von könne auch so ausgelegt werden, meint Knittlmayer.
Der Vorschlag des DSB, explizite Regelungen für die Zukunft zu schaffen, hält er für wenig erfolgversprechend: In der Sperrung des Luftraums liege das Eingeständnis, die Kontrolle über das eigene Gebiet verloren zu haben - eine Blöße, die sich viele Staaten nicht würden geben wollen. Zur Verbesserung der Sicherheit der Zivilluftfahrt würde seines Erachtens vielmehr eine Stärkung der informellen zwischenstaatlichen Kommunikation über die aktuelle Entwicklung von Risikosituationen beitragen, über die auch die betroffenen Fluggesselschaften informiert werden müssten.
cvl/LTO-Redaktion
Gutachten zu MH17-Abschuss: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18713 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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