Wehrpflicht per Losverfahren?: Bun­des­prä­si­dent Stein­meier meldet Zweifel an

16.10.2025

Das Wehrdienstgesetz sorgte schon vor seiner ersten Lesung im Bundestag für Streit. Besonders ungewöhnlich: Der Bundespräsident mischte sich bereits ein. Dabei wird über die kontroverse "Wehrpflicht per Losverfahren" noch gar nicht beraten.

Seit Tagen streitet die Union über eine mögliche "Wehrpflicht per Losverfahren", jetzt mischt sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sein. "Lassen Sie mir etwas Zweifel zu, ob das Losverfahren wirklich ein taugliches Verfahren ist", sagte Steinmeier dem SWR-Magazin Zur Sache Rheinland-Pfalz. Damit ist die Debatte vollständig im Chaos versunken, zumal über ein Losverfahren im Bundestag noch gar nicht beraten wird.

Um die Verwirrung aufzudröseln: Laut NATO-Vorgaben muss die Bundeswehr eine Sollstärke von rund 260.000 aktiven Soldaten haben, rund 80.000 fehlen derzeit. Auch die Reserve muss massiv auf 200.000 Personen aufgestockt werden. Das entsprechende Gesetz soll daher einen Teil der bislang ausgesetzten Wehrpflicht faktisch reaktivieren – wenn auch in abgewandelter Form. So sollen ab kommendem Jahr alle 18-Jährigen angeschrieben werden, um Angaben zu Ausbildung, Gesundheitszustand und ihrer möglichen Bereitschaft zu einem mindestens sechsmonatigen Dienst zu machen. Männer wären zur Antwort bußgeldbewehrt verpflichtet, während Frauen freiwillig teilnehmen könnten. Dieser Gesetzentwurf wurde am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag diskutiert und danach in den Ausschuss überwiesen, wo mögliche Änderungen besprochen werden.

Wohl nicht genug Soldaten auf freiwilliger Basis

Das Problem: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die freiwilligen Meldungen nach dem neuen System bei weitem nicht ausreichen werden, um den Bedarf der Bundeswehr zu decken. Die Debatte darüber, was man dann machen sollte, ist eskaliert. Daraus erwachsen ist der Vorschlag, notfalls das Los darüber entscheiden zu lassen, wer gemustert und damit letztlich zum Wehrdienst eingezogen wird. Das Losverfahren selbst ist im aktuellen Gesetzentwurf aber noch gar nicht enthalten, sondern wäre regulär erst Teil der Diskussionen im Ausschuss. 

Wenn es wie jetzt in Koalitionen kracht, dringt das in der Regel nicht so früh und nicht so offen nach außen, sondern bleibt im Gesetzgebungsverfahren meist in den Ausschüssen. Steinmeier selbst sprach mit Blick auf die jüngsten Turbulenzen von einer "kommunikativen Fehlleistung", die sich hoffentlich bald bereinigen werde.

Dass sich der Bundespräsident überhaupt so früh äußert – nämlich noch vor Beginn der parlamentarischen Beratungen am Donnerstagnachmittag –, ist ungewöhnlich. Normalerweise bleibt das Staatsoberhaupt bis zur Ausfertigung eines Gesetzes im Hintergrund. Umso bemerkenswerter, dass Steinmeier nun öffentlich Zweifel anmeldet, während die Koalition ihren Streit schon nach außen getragen hat.

Steinmeier könnte Gesetz theoretisch stoppen

Eigentlich ist der Bundespräsident das letzte Glied in der Kette des Gesetzgebungsverfahrens. Nachdem ein Entwurf durch Bundestag und Bundesrat gegangen ist, landet das Gesetz auf seinem Schreibtisch – erst dann prüft und unterzeichnet er es. Seine Aufgabe ist damit vor allem die Ausfertigung, also der finale formelle Schritt, bevor ein Gesetz in Kraft tritt; die Verkündung im Bundesgesetzblatt ausgeklammert.

Wenn auch wenn die Ausfertigung oft als Formalie wahrgenommen wird, ist sie es nicht. Der Bundespräsident prüft jedes Gesetz vor seiner Unterschrift – zunächst formell, also ob es ordnungsgemäß zustande gekommen ist, und in engen Grenzen auch materiell, nämlich auf offensichtliche Verstöße gegen das Grundgesetz. Dieses materielle Prüfungsrecht übt er traditionell äußerst zurückhaltend aus: Seit 1949 haben Bundespräsidenten nur achtmal die Unterzeichnung verweigert, zuletzt 2006, als Horst Köhler sowohl das Luftsicherheitsgesetz als auch das Gesetz zur Verbraucherinformation nicht ausfertigte.

Steinmeiers Skepsis gegenüber dem Losverfahren dürfte daher aber allem politisch-mahnender Natur sein. Gleichwohl weist sie auf mögliche verfassungsrechtliche Spannungen hin: Ein Losverfahren berührt Fragen der Gleichbehandlung (Art. 3 Grundgesetz (GG)), der Wehrpflicht (Art. 12a GG) und der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 3 GG). Der Bundesgerichtshof hatte Anfang des Jahres betont, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sei kein "unabdingbarer Grundsatz der verfassungsrechtlichen Ordnung"– eine Einschätzung, die in der Fachöffentlichkeit teils auf deutliche Kritik gestoßen ist.

Steinmeier selbst brachte erneut einen anderen Ansatz ins Spiel: eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen. Junge Menschen sollten sich demnach zwischen einem sozialen Dienst und einem Wehrdienst entscheiden können. Mit dieser Idee knüpft der Bundespräsident an frühere Überlegungen an, die gesellschaftliche Teilhabe und Wehrfähigkeit zugleich stärken sollen.

In den vergangenen Jahren sei die Zustimmung für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht deutlich angestiegen, sagte Steinmeier. "Wenn wir jetzt wieder anfangen, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, die Jungen gegen die Alten, die Alten gegen die Jungen, dann glaube ich, verlieren wir wieder das, was wir an Überzeugungskraft schon geleistet haben."

xp/LTO-Redaktion

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Wehrpflicht per Losverfahren?: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58401 (abgerufen am: 07.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag

Deine Karriere beginnt hier.

Registrieren und nie wieder einen Top-Job verpassen

Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen