Kein Strafverfahren gegen 400 km/h Raser: Gene­ral­staats­an­walt­schaft emp­fiehlt Tem­po­limit

von Katharina Uharek

16.08.2022

Ein Mann rast im Juli 2021 mit bis zu 417 km/h über die A2, zum Teil sogar freihändig. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg sieht darin kein grob verkehrswidriges Verhalten. Sie sieht den Handlungsbedarf auf Seiten des Gesetzgebers.

Mit seinem Bugatti Chiron befuhr ein Mann die Bundesautobahn 2 in Sachsen-Anhalt mit bis zu 417 km/h. Nun entschied die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, dass das Verfahren gegen den Autobahnraser eingestellt bleibt (Az. 108 Zs 806/22).

Anfang des Jahres hatte der Millionär ein Video ins Netz gestellt, bei dem er bei Burg über die A2 zwischen Berlin und Hannover heizt. Der augenscheinlich abgefilmte Tacho des Sportwagens, einem Bugatti Chiron, zeigte eine Geschwindigkeit von bis zu 417 Kilometern pro Stunde an. Dabei soll der Beschuldigte zeitweise sogar beide Hände vom Lenkrad genommen haben. Gegen den Beschuldigten war anschließend ein Strafverfahren mit dem Verdacht, ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen durchgeführt zu haben, eingeleitet worden. Weshalb das Rennen mit sich selbst den Straftatbestand des § 315d StGB erfüllt haben könnte, erklärte Tim Nicklas Festerling der LTO.

Der Fall, der für erhebliches Aufsehen gesorgt hatte, wies einen wesentlichen Unterschied zu anderen Raserfällen auf. Während bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen regelmäßig auch Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) gegeben sind, handelte es sich in diesem Fall sowohl bei der extrem hohen Geschwindigkeit, als auch dem freihändigen Fahren um erlaubtes Verhalten. Bei der Beurteilung der Strafbarkeit stand mithin vorrangig die Überprüfung, ob der Beschuldigte grob verkehrswidrig und rücksichtslos handelte, im Vordergrund.

Grob verkehrswidrig handelt grundsätzlich, wer objektiv besonders schwer gegen eine Verkehrsvorschrift verstößt. Rücksichtslos handelt, wer sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinwegsetzt.

Ein solches Verhalten konnte die Staatsanwaltschaft Stendal jedoch nicht feststellen und stellte das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 8. Juni 2022 mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Gegen die Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft Stendal war Beschwerde eingelegt worden, welche die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg nun am 12. August 2022 zurückgewiesen hat.

Raser verhielt sich nicht grob verkehrswidrig

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg schließt nicht aus, dass ein Autofahrer, der mit bis zu 417 km/h eine auch von anderen Verkehrsteilnehmern genutzte Autobahn befährt, dadurch eine Straftat in Form eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB) begeht, heißt es in der Pressemittelung der Generalstaatsanwaltschaft.

Im Fall des Rasers der A2 sei ein Tatnachweis aus Rechtsgründen allerdings nicht zu führen. Es handle sich hier um eine bloße Geschwindigkeitsüberschreitung. Auch wenn diese erheblich sei, werde sie von § 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB nicht erfasst. Dies gehe aus der Bundestagsdrucksache (BT-Drucksache 18/12964 Seite 6 oben) eindeutig hervor und sei vom Gesetzgeber so gewollt.

Zu § 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB heißt es dort, "das Führen des Kraftfahrzeugs muss mit nicht angepasster Geschwindigkeit erfolgen. Damit ist ein zu schnelles Fahren gemeint, das Geschwindigkeitsbegrenzungen verletzt oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft." Eine solche angepasste Geschwindigkeit dürfte bei bis zu 417 km/h wohl nicht mehr anzunehmen sein.

Einschränkend wird in der Bundestagsdrucksache anschließend ausgeführt "Diese Tatbestandsvoraussetzung soll insbesondere dem Erfordernis des Renncharakters – auch im Fall des § 315d Absatz 1 Nummer 3 StGB – gerecht werden. Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen sollen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind."

Dadurch, dass der Raser keine anderen Personen oder Sachen gefährdete, konnte wegen der gesetzgeberischen Wertung kein hinreichender Tatverdacht angenommen werden. "Der Umstand, dass sich ein Mensch in einem von ihm gesteuerten Kraftfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von annähernd 116 m je Sekunde fortbewegt, mag äußerst leichtsinnig und lebensmüde erscheinen, erfüllt jedoch nicht ohne Weiteres den vorgenannten Straftatbestand", lautet es in der Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hierzu. Beweisverwertbare Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrt im Einzelfall grob verkehrswidrig und rücksichtslos unternommen wurde, seien nicht vorhanden gewesen.

Freihändigfahren auf dem Fahrrad verboten, im Auto erlaubt

Während für Fahrradfahrer und Kraftradfahrer das freihändige Fahren unter ein bußgeldbewährtes Verbot (§§ 23 Abs. 3 Satz 2, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO) gestellt ist, gilt dies nicht für Kraftfahrzeugfahrer. Daher lasse auch das freihändige Fahren des Rasers nicht auf eine grob verkehrswidrige Fahrt schließen. Die daraus folgende Wertung, dass ein Fahrradfahrer, der seine Hände vom Lenker nimmt, nach Ansicht des Gesetzgebers eine größere Gefahr darstellt, als ein Autofahrer, der bei 417 km/h das Lenkrad loslässt, erscheint wenig plausibel.

Dass die Strafbarkeit bei Ausreizen der Geschwindigkeitsvorgaben von einer Einzelfallbetrachtung abhängt, zeigt auch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg in einem Fall, bei welchem ein Mercedes-Fahrer bei Tempo 200 auf sein Infosystem guckte. Das OLG Nürnberg nahm hier ein grob fahrlässiges Verhalten an. Auch in diesem Fall handelte es sich um einen Fahrabschnitt ohne Tempolimit.

Nach Ansicht des OLG Nürnberg gelte aber dennoch die Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung, die vorgibt, dass bei höheren Geschwindigkeiten die Unfallgefahren selbst unter Idealbedingungen so erheblich zunähmen. Wer deswegen die Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern überschreite, müsse sich besonders auf das Fahren konzentrieren, betonten die Nürnberger Richterinnen und Richter. Auch wenn der Fahrer seinen Blick nur kurzzeitig von der Fahrbahn auf das Infosystem gerichtet habe, stelle sein Verhalten bei dieser Geschwindigkeit eine objektiv schwere und unentschuldbare Pflichtverletzung dar und sei grob fahrlässig, entschied das OLG.

Weshalb in diesem Fall der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h keinerlei Relevanz zugemessen wird, ist wenig nachvollziehbar. So ist der Blick auf das Navigationssystem mit dem freihändigen Fahren vergleichbar und stellt bei einer Geschwindigkeit von 400 km/h eine ähnlich schwere und unentschuldbare Pflichtverletzung dar.

Geschwindigkeitsobergrenze von 200 km/h

Die Generalstaatsanwaltschaft sieht den Handlungsbedarf auf Seiten des Bundesgesetzgebers, wenn derartige Handlungsweisen künftig unterbunden werden sollen. Eine Möglichkeit sei die Änderung der Vorschrift des § 3 Absatz 3 Nr. 2c StVO, nach welcher bisher keine Geschwindigkeitsbegrenzung für Autobahnen existiert.

"Die Einführung einer Geschwindigkeitsobergrenze in der Straßenverkehrsordnung, nach der ein sehr schnelles Fahren noch erlaubt wäre, ein übermäßig-rasendes Fahren indes verboten wäre (z.B. 200 km/h), könnte womöglich Abhilfe schaffen", heißt es in der Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg.

Passend zum Einstellungsbeschluss der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg tagt am Mittwoch der Verkehrsgerichtstag (VGT). Bisher lässt das Programm einen Tagesordnungspunkt zum Tempolimit jedoch vermissen. Dabei dürfte eine mögliche Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ebenso von Relevanz sein, wie etwa die Gleichbehandlung von Cannabis und Alkohol im Straßenverkehr oder die Einordnung von E-Scootern im öffentlichen Verkehr.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Kein Strafverfahren gegen 400 km/h Raser: Generalstaatsanwaltschaft empfiehlt Tempolimit . In: Legal Tribune Online, 16.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49330/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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