Es ist ein spektakulärer Gefangenenaustausch zwischen Washington und Moskau. Auch der in Deutschland inhaftierte "Tiergartenmörder" kam frei. Wie geht das rechtlich, warum war das politisch gewollt und warum könnte es ein falsches Signal sein?
Russland, Belarus und mehrere westliche Länder haben in einer beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter Spionageverdacht stehende Akteure aus Russland gehen. Unter den Amerikanern, die demnach aus russischer Haft freikommen sollen, seien auch die wegen Spionage zu langen Haftstrafen verurteilten US-Bürger Evan Gershkovich und Paul Whelan. Für den Gefangenenaustausch gab es zunächst keine offizielle Bestätigung, weder aus den USA noch aus Russland. Mehrere andere Medien meldeten aber ebenfalls, Russland habe sich als Teil eines größeren Gefangenenaustausches dazu bereiterklärt, Gershkovich und Whelan freizulassen.
Kremlchef Wladimir Putin hatte zuletzt wiederholt seine Bereitschaft für einen Austausch erklärt. Putin steht in der Kritik, politische Gefangene als Geiseln zu nutzen, um Russen aus westlichen Gefängnissen freizupressen. In den vergangenen Tagen verdichteten sich dann die Hinweise, dass ein Austausch unmittelbar bevorstehen könnte.
Nach Informationen von Spiegel und Bild ist der sogenannte Tiergartenmörder Wadim K. auch Teil des Gefangenenaustausches. Der Kreml hat schon länger Interesse an einem Austausch, um den Russen aus deutscher Haft zu holen.
Warum darf Deutschland einen verurteilten Mörder freilassen?
K. hatte 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten einen Georgier ermordet. Das Berliner Kammergericht hatte ihn 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sein Opfer stand laut Urteil seit langem im Visier der Russischen Föderation, weil es während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt hat. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Die Entscheidung zur Freilassung von Wadim K. hat nicht der in solchen Fällen zuständige Generalbundesanwalt Jens Rommel getroffen, sondern das Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin des Ministeriums teilte auf Anfrage mit, der Generalbundesanwalt sei zwar grundsätzlich zuständig für die Aussetzung der Strafvollstreckung. Das Bundesministerium der Justiz habe den Generalbundesanwalt im Fall von Wadim K. am vergangenen Montag jedoch schriftlich angewiesen, diese Vollstreckung auszusetzen, um dadurch den Gefangenenaustausch zu ermöglichen.
Das Absehen von der Strafvollstreckung bei Ausweisung oder Auslieferung regelt § 456a Strafprozessordnung. Der Paragraph macht den Deal rechtlich möglich. Alles andere ist aber vor allem eine Angelegenheit politischer Aushandlung. Rechtlich zuständig wäre in dem Fall von K. der Generalbundesanwalt. Laut einem Bericht von Tagesschau.de war der offenbar gegen die Aussetzung der Strafe des Tiergartenmörders. Bei der Bundesanwaltschaft habe man demnach befürchtet, dass ein solcher Fall ein Exempel statuieren und ein falsche Signal senden würde.
Am Donnerstagabend kommentierte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) seine Entscheidung: "Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister." Und weiter: "Abzuwägen war das gewichtige Interesse an der Vollstreckung der Strafe gegen die Freiheit von 16 Menschen, die teilweise nur deshalb in Haft saßen, weil sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben", erklärte Buschmann das Dilemma. Als Justizminister sei dabei für ihn das Prinzip "Im Zweifel für die Freiheit" entscheidend gewesen.
"Auftragsmörder austauschen?? Sollte eine Regierung/Behörde das versuchen wäre das ein schwerer Schaden für den Rechtsstaat", kommentierte Prof. Dr. Franz C. Mayer auf X (ehemals Twitter) den Vorgang.
Gershkovich zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt
Die russische Justiz hatte den 32 Jahre alten Reporter Gershkovich Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent der US-Zeitung Wall Street Journal war Ende 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das Wall Street Journal wies die Vorwürfe zurück.
Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Whelan war im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit ebenfalls zu 16 Jahren Straflager verurteilt worden. Davor hatte er rund anderthalb Jahre lang in Haft gesessen, seit 2018. Whelan soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Er soll geheime Daten auf einem USB-Stick erhalten haben. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, beteuerte vehement seine Unschuld und sprach von einem politisch motivierten Urteil.
Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung der beiden Männer. US-Amerikaner werden in Russland immer wieder der Spionage verdächtigt. Russland hatte zuletzt im Zuge des Ukraine-Kriegs die Gangart gegen westliche Journalisten verschärft.
In den vergangenen Monaten war wiederholt diskutiert worden, ob Gershkovich und Whelan möglicherweise durch einen Gefangenenaustausch freikommen könnten, wie zuvor etwa die US-Basketballspielerin Brittney Griner. Sie war im Dezember 2022 nach zehn Monaten in russischer Haft im Austausch für den russischen Waffenhändler Viktor But freigelassen worden.
dpa/kus/xp/LTO-Redaktion
Großer Gefangenenaustausch: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55132 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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