Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn eingeleitet: "Eine sys­te­ma­ti­sche Bedro­hung der Demo­k­ratie"

12.09.2018

Das Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Art. 7 der EU-Verträge ist das schärfste Mittel gegen ein EU-Land. Das erste der EU-Geschichte läuft bereits gegen Polen, nun untersucht der Rat, wie es um die EU-Grundwerte in Ungarn bestellt ist.

Nach Polen muss sich nun auch Ungarn einem sogenannten Rechtsstaatlichkeitsverfahren wegen Gefährdung von EU-Grundwerten stellen. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Europaparlament stimmte am Mittwoch für ein solches Verfahren, das im äußersten Fall zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen könnte. Jetzt muss sich der Rat der Mitgliedsländer mit dem Fall befassen. Für die Auslösung des Verfahrens stimmten 448 Abgeordnete, 197 waren dagegen, 48 enthielten sich.

Grundlage des Votums ist ein kritischer Bericht, den die Grünen-Abgeordnete Judith Sargentini im Frühjahr im Auftrag des Parlaments erstellt hatte. Unter Berufung auf offizielle Befunde von Institutionen wie Vereinte Nationen, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder Europarat ging dieser mit der Regierung unter dem rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban hart ins Gericht. Es herrsche "eine systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn".

Der Bericht verwies auf Einschränkungen der Meinungs-, Forschungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems und das Vorgehen der Regierung gegen Nichtregierungsorganisationen. Darüber hinaus werden in ihm Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen aufgezählt sowie Korruption und Interessenkonflikte kritisiert.

Orban weist Vorwürfe zurück

Insgesamt sei das Risiko eines Verstoßes gegen EU-Grundwerte gegeben, stellte der Bericht fest und plädierte für ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Art. 7 der EU-Verträge. Ein solches Verfahren hatte die EU-Kommission im vergangenen Dezember gegen Polen gestartet. Beratung und etwaige Entscheidung liegen beim Rat der Mitgliedsstaaten, der sich nun mit beiden Ländern befassen muss. Das Verfahren kann theoretisch zum Entzug von Stimmrechten im Ministerrat führen. Die Hürden dafür sind aber sehr hoch, außerdem nimmt das Verfahren viel Zeit in Anspruch: Im Fall Polen gab es bisher nur eine Anhörung.

Die ungarische Regierung hatte die Vorwürfe scharf zurückgewiesen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sagte am Dienstag in einer Rede vor den EU-Abgeordneten, der Bericht weise zahlreiche faktische Fehler auf. Mit dem nun eingeleiteten Verfahren solle sein Volk dafür verurteilt werden, dass es Ungarn nicht zu einem Einwanderungsland machen wolle.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn eingeleitet: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30893 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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