Der Öffentlichkeit kann ein Anspruch auf Zugang zu Schriftsätzen aus Verfahren vor dem EuGH zustehen. Dies entschied der Gerichtshof am Dienstag im Streit zwischen der EU-Kommission und dem Piratenpolitiker Patrick Breyer.
Die Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission erfasst auch Schriftsätze, die in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingebracht werden. Dies entschied eben jener am Dienstag (Urt. v. 18.07.2017, Az. C-213/15 P9).
Damit bestätigten die Luxemburger Richter ein Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG). Ausgangspunkt war ein Antrag des deutschen Politikers und Mitglieds sowie früheren Fraktionschefs der Piratenpartei im Landtag von Schleswig-Holstein, Patrick Breyer. Dieser hatte von der EU-Kommission Zugang zu Schriftsätzen gefordert, die Österreich im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH wegen Nichtumsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie aus dem Jahr 2006 eingereicht hatte und die der Kommission als Abschrift vorlagen.
Das Verfahren gegen Österreich endete am 28.07.2010, also vor dem Antrag Breyers, der erst im März 2011 erfolgte. Die Kommission weigerte sich, die Schriftstücke herauszugeben und begründete dies damit, der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den öffentlichen Zugang zu Dokumenten sei nicht eröffnet.
Dokumente von Verordnung über Zugang der Öffentlichkeit umfasst
Breyer rief daraufhin das EuG an und beantragte dort die Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses durch die Kommission. Dem folgte das Gericht mit seinem Urteil vom 27.02.2015 (Az. T-188/12). Die Kommission könne den Zugang zu den Verfahrensdokumenten nicht ohne weiteres mit der Begründung verweigern, dass es sich um Gerichtsdokumente handele. Über einen solchen Zugangsantrag sei immer auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 zu entscheiden.
Die Kommission zog gegen dieses Urteil vor den EuGH. Dabei wurde sie von den Mitgliedstaaten Spanien und Frankreich unterstützt. Finnland und Schweden standen im Rechtsmittelverfahren an der Seite von Breyer. Der EuGH bestätigte schließlich die Entscheidung des EuG und wies das Vorbringen der Kommission zurück.
Zwar entschieden die Richter nicht darüber, ob die Kommission Breyer Zugang zu den Dokumenten gewähren muss. Sie bestätigten aber, dass die Verfahrensdokumente in den Anwendungsbereich der Verordnung über den Dokumentenzugang fallen.
2/2: Verordnung enthält Ausnahmen
Dies bekräftigte man in Luxemburg mit einem Verweis auf den Vertrag von Lissabon, laut dem zwar der EuGH, wenn er Rechtsprechungsaufgaben wahrnehme, von der Regelung über den Zugang zu Dokumenten ausgenommen bleibe. Der Anwendungsbereich des Transparenzgrundsatzes im Unionsrecht durch den Vertrag sei jedoch erweitert worden mit dem Ziel, eine offene europäische Verwaltung zu schaffen.
Die Verordnung gewähre daher zwar keinen Anspruch auf Zugang zu Dokumenten, die an den Gerichtshof gerichtet seien, so die Luxemburger Richter. Doch Schriftsätze, die im Zusammenhang mit Verfahren vor dem EuGH stünden und sich im Besitz eines in der Verordnung aufgezählten Unionsorgans befänden, seien davon durchaus umfasst. Die Interessen der Verfahrensbeteiligten würden durch die in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen ausreichend gewahrt, meinten die Richter.
So sehe diese etwa vor, dass die Organe den Zugang zu einem Dokument insbesondere
dann verweigern könnten, wenn durch seine Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde - es sei denn, es bestünde ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments.
"Mangelhafte Transparenz der europäischen Justiz"
An diesem Punkt der richterlichen Ausführungen gab es denn auch den ersten Rückschlag für den teilweise siegreichen Breyer. Es gebe eine allgemeine Vermutung, so der Gerichtshof, wonach die Verbreitung der von einem Organ eingereichten Schriftsätze den Schutz dieses Verfahrens im Sinne der genannten Ausnahme beeinträchtige, solange das Verfahren anhängig sei.
"Die Transparenz der europäischen Justiz bleibt nach diesem Urteil mangelhaft und dringend verbesserungsbedürftig", erklärte Breyer in einer Mitteilung. "Da die Luxemburger Richter Transparenz in laufenden Verfahren ohne Grund als Bedrohung zu betrachten scheinen, muss der Gesetzgeber handeln und die Verfahrensregeln nach Vorbild des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs überarbeiten", so der Bürgerrechtler. "Dass Parteien nach Meinung des EuGH gar generell zur Geheimhaltung von Schriftsätzen – sogar der selbst verfassten Schriftsätze – verpflichtet sein sollen, ist inakzeptabel und gefährdet die Pressefreiheit."
Ebenfalls nachteilig für den Politiker fiel auch die Kostenentscheidung aus: Wenngleich die Kommission vollständig unterlegen sei, müsse Breyer die Hälfte seiner Verfahrenskosten tragen, weil er anonymisierte Fassungen der im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens gewechselten Schriftsätze im Internet veröffentlicht habe. Dies stelle eine unangemessene Verwendung der Schriftsätze dar und sei mit der Kostenentscheidung zu ahnden, so der EuGH.
Die beantragten Schriftsätze wird die Kommission aber nun herausgeben müssen, da das ihnen zugrunde liegenden Verfahren bereits beendet ist.
mam/LTO-Redaktion
EuGH zu Einsicht in Verfahrensdokumente: Teilsieg für Piratenpolitiker . In: Legal Tribune Online, 18.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23493/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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