In vielen Ländern, darunter auch Deutschland, sind Männer, die Sex mit anderen Männern haben, von der Blutspende ausgeschlossen. Das soll dem Schutz vor Infektionskrankheiten dienen, stellt aber eine sexuelle Ungleichbehandlung dar. Am Mittwoch hatte der EuGH über das Verbot zu entscheiden. Doch sein Urteil stellt die Antwort im Wesentlichen ins Ermessen der Mitgliedstaaten.
Geklagt hatte ein französischer Staatsbürger, dessen Angebot zur Blutspende 2009 abgelehnt worden war, da er bei der vorangehenden Untersuchung angegeben hatte, sexuellen Kontakt mit Männern gehabt zu haben. In Frankreich – ebenso wie in vielen anderen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland – stellt dies einen Ausschlussgrund dar.
Die Vorschriften gehen auf eine europäische Richtlinie zurück, wonach Personen, "deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt", als Spender nicht in Frage kommen (2004/33/EG, dort Anhang 3). Das können zum Beispiel Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnern oder Prostituierte sein – nach der Wertung Frankreichs sind es aber stets auch schwule bzw. bisexuelle Männer, sofern letztere auch gleichgeschlechtlichen Sex haben.
Diese Einschätzung kommt nicht ganz von ungefähr: In Deutschland etwa entfielen im Jahr 2013 nach Zahlen des Robert Koch-Instituts rund drei von vier HIV-Neuinfektionen auf homosexuelle Männer, trotz des vergleichsweise geringen Anteils dieser Personengruppe an der Gesamtbevölkerung.
Für Frankreich lagen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Zahlen aus den Jahren 2003 bis 2008 vor: Dort entfielen 48 Prozent der Neuansteckungen auf homosexuelle Männer, die Inzidenzrate von HIV sei bei ihnen 200 mal höher als bei der heterosexuellen französischen Bevölkerung. Nach einem Bericht des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten aus 2013 ist HIV zudem unter französischen Homosexuellen stärker verbreitet als in irgendeinem anderen untersuchten Land in Europa oder Asien.
Gängiger HIV-Test schließt Risiko nicht vollständig aus
Insofern wirkt es eher wie eine frommer Wunsch, wenn der EuGH in seiner Entscheidung von Mittwoch das vorlegende französische Gericht (Tribunal administratif) auffordert, zunächst nachzuprüfen, ob die vorgelegten Daten von 2003 bis 2008 auch heute noch belastbar und relevant seien (Urt. v. 29.04.2015, Az. C-528/13). Wenn dies – wovon auszugehen ist – der Fall sein sollte, hat der EuGH gleichwohl Bedenken gegenüber einem pauschalen Blutspendeverbot für Homosexuelle.
Die darin enthaltene sexuelle Ungleichbehandlung könne zwar aus Gründen des Gesundheitsschutzes grundsätzlich gerechtfertigt sein. Allerdings müsse, sofern möglich, ein milderes Mittel gewählt werden. Die Durchführung eines regulären HIV-Tests – die unabhängig von der sexuellen Orientierung des Spenders ohnehin erfolgt – reiche dazu nicht aus, da Ansteckungen innerhalb der letzten sechs bis acht Wochen vor Blutentnahme damit nicht sicher nachweisbar sind.
Deshalb, so der EuGH, solle das Tribunal administratif prüfen, ob es "nach den neuesten wissenschaftlichen und technischen Verfahren" die Möglichkeit gebe, auch für diesen Zeitraum einen wirksamen Infektionsnachweis durchzuführen. Um die Antwort an dieser Stelle vorweg zu nehmen: Ein solches Verfahren gibt es nicht –das diagnostische Fenster kann ggf. verkürzt, aber nicht auf null reduziert werden.
Bessere Risikoerfassung durch veränderte Fragebögen?
Als letzte Option erwähnt der EuGH schließlich noch die Möglichkeit, etwaiges Risikoverhalten in den Fragebögen zur Blutspende genauer zu identifizieren – etwa durch spezifische Fragen nach den letzten sexuellen Kontakten, der praktizierten Verhütung etc. Das Risiko unwahrer Antworten lässt sich damit zwar nicht ausräumen, doch dieses besteht ja grundsätzlich – auch bei der Frage nach der sexuellen Orientierung.
Inwiefern optimierte wissenschaftliche Testverfahren bzw. veränderte Fragebögen jedoch in der Lage sind, den angestrebten Schutz der Gesundheit der späteren Empfänger von Blutspenden tatsächlich zu gewährleisten, will der EuGH nicht selbst beurteilen. Das stellen die Luxemburger Richter vielmehr in das Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten, die diese Frage abhängig von ihren nationalen Gegebenheiten beurteilen müssten.
Eine eindeutige Stellungnahme zu der vor allem politisch brisanten Thematik liefert der EuGH somit nicht. Vielmehr dürften nach dem Urteil sowohl der Ausschluss als auch die Zulassung – ggf. unter Beachtung einer "Sperrfrist" seit dem letzten sexuellen Kontakt – von Männern, die sexuell mit anderen Männern verkehren, begründbar bleiben.
Constantin Baron van Lijnden, Kein Grundsatzurteil: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15394 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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