Im überwiegend von Roma bevölkerten Teil der bulgarischen Stadt Dupnitsa hängen die Stromzähler der Verbraucher an Masten in etwa sechs Metern Höhe. Der EuGH muss daher nun Fragen zur Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie beantworten. Generalanwältin Kokott sieht in ihren Schlussanträgen eine mittelbare Diskriminierung, die aber gerechtfertigt sein könnte.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss nicht weniger als zehn Fragen eines bulgarischen Gerichts beantworten. Es geht um Maßnahmen in einem Viertel in der Stadt Dupnitsa, das überwiegend von Roma bewohnt wird. Während andererorts die Stromzähler wie üblich auf Augenhöhe der Endverbraucher angebracht sind, findet man sie hier ausschließlich an Pfählen in sechs Metern Höhe.
In der bulgarischen Hauptstadt Sofia klagt eine Frau, die ein Geschäft in dem Viertel betreibt, jedoch selbst nicht der ethnischen Gruppe der Roma angehört. Das Gericht muss daher nicht nur feststellen, ob eine Diskriminierung der Roma vorliegt, sondern auch, ob Personen, die der betroffenen Gruppe nicht angehören, "mitdiskrimiert" werden können.
Der Stromanbieter hatte die Zähler um das Jahr 2000 an den Masten angebracht und dies seither damit begründet, dass es in dem Viertel vermehrt zu Betrugsfällen in Form von unbefugten Einwirkungen auf die Zähler und zu unberechtigten Anschlüssen gekommen sei.
Die von der Maßnahme betroffenen Verbraucher kölnnen die Zähler allerdings indirekt auf Sicht kontrollieren. Der Anbieter hat sich zudem in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, auf schriftliche Anfrage innerhalb von drei Tagen den Stromzähler durch sein Personal ablesen zu lassen. Ein Angebot, das bisher allerdings noch nie in Anspruch genommen wurde, teilt der EuGH mit. Den Bewohnern steht es außerdem frei, sich einen kostenpflichtigen Zusatzzähler zu besorgen, den sie dann in ihrer Wohnung anbringen können.
Auch "Nicht-Roma" können sich auf Diskriminierungsverbot berufen
Die insgesamt zehn Fragen des bulgarischen Gerichts beziehen sich überwiegend auf die Auslegung und Anwendung EU-Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/43. Bevor die Luxemburger Richter hierauf Antworten finden, hat nun Generalanwältin Kokott ihre Schlussanträge vorgelegt. In den meisten Fällen schließt sich der EuGH den Schlussanträgen an.
Demnach könnten sich in einem Gebiet, das überwiegend von einer bestimmten ethnischen Gruppe bewohnt wird, auch dort ansässige Personen auf das Verbot der Diskriminierung berufen, obwohl sie selbst nicht zur betroffenen Gruppe gehören. Voraussetzung sei aber, dass sie von der fraglichen Maßnahme aufgrund ihres pauschalen und kollektiven Charakters gleichsam betroffen seien.
Für den besagten Stadtteil bestünde der erste Anschein einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie. Denn im Normalfall würden Verbrauchern die Stromzähler kostenlos zur Verfügung gestellt und auf deren Sichthöhe oder in deren Gebäuden angebracht. Für den hier betroffenen Stadtteil gelte das nicht, da die Stromzähler nicht unmittelbar eingesehen werden könnten.
Maßnahme womöglich gerechtfertigt
Allerdings könne eine solche Maßnahme auch gerechtfertigt sein, heißt es in den Schlussanträgen. Dann müsse sie dazu dienen, Betrug und Missbrauch zu verhindern oder dazu beitragen, die Stromversorgung im Interesse aller Verbraucher zu gewährleisten. Nötig hierbei sei aber auch, dass es keine gleich geeigneten Maßnahmen gebe, die sich weniger nachteilig auswirkten.
Keinesfalls dürfe die getroffene Maßnahme eine übermäßige Beeinträchtigung der Bewohner herbeiführen. Eine drohende Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe wiege deutlich schwerer als die wirtschaftlichen Interessen des Stromanbieters oder das Interesse der Allgemeinheit an der Stromversorgung, so die Generalanwältin.
Ob die streitigen Maßnahmen im bulgarischen Dupnitsa gerechtfertigt sind oder nicht, haben weder die Generalanwältin noch die Richter des EuGH zu entscheiden. Diese Feststellung wird allein das bulgarische Gericht treffen müssen.
una/LTO-Redaktion
Stromzähler für Roma in 6 Metern Höhe : . In: Legal Tribune Online, 12.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14931 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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