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Generalanwalt zu Erzberger ./. TUI: Deut­sche Mit­be­stim­mung mit Uni­ons­recht ver­einbar

von Pia Lorenz und Alexander Cremer

04.05.2017

Mitarbeiter

© yanlev - Fotolia.com

Der Generalanwalt am EuGH hält das deutsche Mitbestimmungsgesetz für europarechtskonform. Arbeitsrechtler hoffen nun, dass auch der Gerichtshof die Mitbestimmung für einen wesentlichen Bestandteil der deutschen Sozialordnung halten wird.

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Ist es mit primärem Unionsrecht vereinbar, dass nur in Deutschland tätige Arbeitnehmer ein Wahlrecht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat deutscher Gesellschaften haben? Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat diese Frage in seinen Schlussanträgen zum Fall Erzberger am Donnerstag mit einem klaren Ja beantwortet.

Konrad Erzberger, Anteilseigner der TUI AG, hatte sich gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der deutschen Aktiengesellschaft gewandt, die an der Spitze des weltweit tätigen Tourismuskonzerns steht.  Der Aufsichtsrat dürfe, so Erzberger, nur aus Mitgliedern bestehen, die die Anteilseigner bestimmt hätten. Indem es vorsehe, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer des Konzerns die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen könnten und in den Aufsichtsrat wählbar seien, verstoße das deutsche Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG) gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Das mit dem Fall beschäftigte Kammergericht (KG) Berlin hatte den Fall den Luxemburger Richtern vorgelegt.

Der Generalanwalt teilt Erzbergers Auffassung nicht. Henrik Saugmandsgaard Øe hält die Freizügigkeit auf in anderen Mitgliedstaaten tätige Arbeitnehmer des Konzerns für gar nicht anwendbar, es handele sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt. Mitarbeiter in Deutschland, die das Land verlassen, um eine Stelle bei TUI in einem anderen Mitgliedstaat anzutreten, könnten sich zwar auf sie berufen. Eingeschränkt werde auch ihre Freizügigkeit aber nicht.

Generalanwalt: Legitime wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung

Die Situation, in der sich die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe befänden, falle erst gar nicht unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese verleihe nämlich nur solchen Arbeitnehmern Rechte, die ihr Heimatland verlassen oder dies vor hätten, um in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten. Auf die meisten Angestellten in anderen Mitgliedstaaten bei dem Konzern, der außerhalb Deutschlands in der Union über 40.000 Personen beschäftigt, treffe das nicht zu. Dass die Gesellschaft, bei der ein Arbeitnehmer beschäftigt ist, im Eigentum oder unter der Kontrolle einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland stehe, führe nicht dazu, dass die Freizügigkeit beeinträchtigt werden könnte, so Saugmandsgaard Øe. Im Übrigen könne das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht auf rein innerstaatliche Sachverhalte eines Mitgliedstaats angewandt werden.

Anders sehe es bei in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern aus, wenn sie das Land verlassen würden, um bei einer zu TUI gehörenden Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat anzufangen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei dann zwar anwendbar, werde durch das MitbestG aber nicht beschränkt. Zwar verlieren diese ihr aktives und passives Wahlrecht, die Mitgliedstaaten seien aber nicht verpflichtet, Arbeitnehmern, die ihr Hoheitsgebiet verlassen, dieselben Mitwirkungsrechte einzuräumen wie den im Inland Beschäftigten.

Der dänische Generalanwalt schiebt noch eine hilfsweise Argumentation hinterher: Selbst wenn der EuGH, anders als er, von einer Beschränkung der Freizügigkeit dieser deutschen Arbeitnehmer, die im Ausland für TUI tätig sind, ausgehen sollte, wäre diese laut Saugmandsgaard Øe gerechtfertigt. Die Regelungen im MitbestG seien legitime wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen des Mitgliedstaats, ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsmarkts und der deutschen Sozialordnung.

Arbeitsrechtler: Entspannung bei den Sozialpartnern

Auch für Dr. Stefan Mutter steht bei dem Verfahren in Luxemburg eine "wesentliche Säule des deutschen Wirtschaftsmodells der Nachkriegszeit" auf dem Spiel. Die Schlussanträge kommentierte er gegenüber LTO hocherfreut: 'Träume werden manchmal wahr'. Der renommierte Arbeitsrechtler aus der Düsseldorfer Boutique Mutter und Kruchen geht davon aus, dass nun bei den Sozialpartnern Entspannung einkehrt, da der EuGH in seiner Rechtsprechung eine Tendenz habe, den Schlussanträgen zu folgen.

Seiner Ansicht nach geben die Schlussanträge der im Herbst neu gewählten Bundesregierung aber trotzdem einen konkreten rechtspolitischen Arbeitsauftrag für die nächste Legislaturperiode mit: "Jedem bei einer Unternehmensgruppe beschäftigten Arbeitnehmer sollten unabhängig davon, wo sich sein Arbeitsplatz befindet, dieselben Mitwirkungsrechte im Konzern zustehen".

Laut Till Wansleben stößt der Generalanwalt, indem er eine etwaige Beschränkung der Freizügigkeit als gerechtfertigt ansieht, weil die Aufrechterhaltung der Mitbestimmung Ausdruck legitimer wirtschafts- und sozialpolitscher Entscheidungen sei, "in das gleiche politische Horn wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung". Für den Associate bei Hengeler Mueller, der seit Jahren zu der Frage forscht, ob das deutsche Mitbestimmungsrecht gegen Unionsrecht verstößt, scheint das "von der Befürchtung getragen, dass bei einer Unvereinbarkeit mit Unionsrecht die deutschen Gerichte die Mitbestimmung insgesamt als unanwendbar ansehen würden. Das vorlegende Kammergericht hatte bereits erkennen lassen, dass es keine Möglichkeit sieht, die Mitbestimmungsgesetze im Ausland anzuwenden".

acr/pl/LTO-Redaktion

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Pia Lorenz und Alexander Cremer, Generalanwalt zu Erzberger ./. TUI: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22817 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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