Anerkannte deutsche Umweltvereinigungen dürfen gegen Entscheidungen des Kraftfahrt-Bundesamts vor Gericht ziehen. Es fehlt nicht an der Klagebefugnis, so der EuGH-Generalanwalt. Hintergrund ist das Vorgehen der DUH gegen sog. Thermofenster.
Anerkannte deutsche Umweltvereinigungen dürfen gegen Entscheidungen des Kraftfahrt-Bundesamtes vor Gericht ziehen. Dieser Ansicht ist der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinen Schlussanträgen (v. 03.03.2022, Rs. C-873/19). Außerdem kann ein sog. Thermofenster nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein – ansonsten handelt es sich um eine verbotene Abschalteinrichtung. Ein Urteil des EuGH wird in mehreren Wochen erwartet.
Hintergrund der Schlussanträge ist die EG-Typengenehmigung von Thermofenstern für Fahrzeuge mit einem Dieselmotor der Generation Euro 5 von VW durch das dafür zuständige Kraftfahrt-Bundesamt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (VG). Die DUH machte geltend, dass es sich bei der den Thermofenstern zugrundeliegenden Software um eine verbotene Abschalteinrichtung handele. Die Software lässt bei bestimmten Außentemperaturen erhöhte Schadstoffemissionen zu. Autohersteller argumentieren, dies sei notwendig, um den Motor zu schützen. Umweltorganisationen sehen darin hingegen ein Instrument, das dabei hilft, die Schadstoffemissionen von Autos unter Testbedingungen geringer erscheinen zu lassen, als sie es im realen Straßenverkehr tatsächlich sind.
Umweltrecht muss auch praktisch wirksam sein
Das VG war jedoch der Ansicht, dass es der DUH nach deutschem Recht schon an der Klagebefugnis zur Anfechtung von Entscheidungen des Kraftfahrt-Bundesamtes fehlt. Sie sei nämlich nicht in ihren eigenen Rechten verletzt. Außerdem werde durch die Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamtes kein eine ortsfeste Anlage betreffendes Vorhaben zugelassen, sondern ein Produkt. Das VG wollte daher vom EuGH wissen, ob die DUH auch derartige Verwaltungsentscheidungen vor nationalen Gerichten anfechten können. Zudem fragte das VG den EuGH, ob sich die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen wie des Thermofensters nach dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Genehmigung richtet oder ob andere Umstände hinzuzuziehen sind.
Generalanwalt Athanasios Rantos bejaht zunächst die erste Frage. Eine anerkannte Umweltvereinigung müsse eine Verwaltungsentscheidung, mit der EG-Typengenehmigungen für Fahrzeuge erteilt werden, vor innerstaatlichen Gerichten anfechten können. Er leitete dies aus dem Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der EU-Grundrechtecharta ab. Demnach seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Umweltrecht der Union garantierten Rechte zu gewährleisten.
Abschalteinrichtung unzulässig, wenn nicht notwendig
Das Unionsumweltrecht sei in den meisten Fällen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern Einzelner gerichtet, sondern auf allgemeine Interessen. Es sei Aufgabe der Umweltvereinigungen, dieses Allgemeininteresse zu schützen. Außerdem sei die Bestimmung des Unionsrechts, nach der Abschalteinrichtungen bis auf ein paar Ausnahmen verboten sind, in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Daher seien sie als Bestimmungen des innerstaatlichen Umweltrechts anzusehen. Damit sie praktische Wirkung entfalten können, müssten Umweltvereinigungen entsprechenden Verwaltungsentscheidungen auch anfechten können.
Zweitens ist der Generalanwalt der Auffassung, dass sich die Notwendigkeit und damit die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung nicht an dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Erteilung der EG-Typengenehmigung orientiert. Aus dem Unionsrecht ergebe sich nämlich ein technikneutraler Ansatz. Automobilhersteller müssten also nicht zwangsläufig die bestmögliche Technik anwenden, aber eben die, die eine Einhaltung der Grenzwerte möglich macht. Gebe es zudem keine Notwendigkeit für eine Abschalteinrichtung, dann sei sie auch nicht zulässig.
pdi/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
EuGH-Schlussanträge: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47710 (abgerufen am: 04.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag